Das verbotene Reich: Thriller (German Edition)
verschafften seiner Familie und seinem Dorf reichlich Nahrung. Mitten auf dem Feld stand ein Baumstumpf. Eines Tages rannte ein Hase über das Feld, prallte mit voller Wucht gegen den Stumpf, brach sich das Genick und starb. Das war ein richtiger Glücksfall, und alle freuten sich über das Fleisch. Daraufhin ließ der Mann seinen Pflug liegen und bezog Wache bei dem Stumpf, da er hoffte, noch einmal auf dieselbe Weise an einen Hasen zu gelangen. Doch das gelang ihm nie, und sowohl seine Familie als auch das Dorf litten unter seiner Pflichtvergessenheit. Das ist der Fehler des Konfuzianismus. Wer versucht die Gegenwart mit den Rezepten der Vergangenheit zu bewältigen, begeht dieselbe Dummheit.«
Er lauschte dem fernen Brummen der Generatoren des Bohrturms. Der Tagesanbruch war nicht mehr fern. Wieder dachte er an den Dozenten an der Universität Hunan zurück. Der Mann hatte ihn gefragt:
»Was machen Sie nach Ihrem Abschluss?«
»Ich habe vor, in Peking zu bleiben und einen höheren wissenschaftlichen Grad in Geologie anzustreben.«
»Die Erde interessiert Sie?«
»Seit jeher.«
»Sie sind ein vielversprechender junger Mann und ein kluger Kopf. Das habe ich in den vergangenen drei Jahren bemerkt. Würden Sie vielleicht etwas in Betracht ziehen wollen, was Ihre Studien ergänzt? Etwas, was die Fragen beantworten könnte, die Sie mir ständig stellen?«
In den Tagen darauf hatte er den Erklärungen seines Dozenten über die ferne Shang-Dynastie gelauscht, der ersten Dynastie, für die es schriftliche Belege gab. Sie hatte vor beinahe viertausend Jahren bestanden. Der Staat war hoch entwickelt gewesen und hatte ein Steuereintreibungssystem, ein Strafgesetz und eine stehende Armee besessen. Er wurde von einem Autokraten beherrscht, der sich gegenüber seinen Untertanen als Ich, der allereinzige Mann bezeichnete.
»Das war bedeutsam«, erklärte Tangs Dozent. »Es war das erste bekannte Mal, dass ein einzelner Mann als allmächtiger Herrscher viele Menschen regierte.«
Auf die Shang-Dynastie folgte die Zhou-Dynastie. Sie führ te dieses autokratische Ideal fort und weitete die Autorität des Herrschers noch aus.
»Es hieß, dass alles Land unter dem Himmel dem König gehörte und dass alle Menschen an den Gestaden seine Untertanen waren.«
Doch es erwies sich als schwierig, ein so großes Königreich von einem einzigen Ort aus zu regieren. Daher entwickelten die Zhou-Könige den Feudalismus: Verwandte des Königs erhielten beschränkte Gewalt über Teile des Königreichs verliehen. Außerdem bekamen sie Titel wie Herzog, Fürst, Graf und Baron.
»Ein System, das die westliche Zivilisation erst tausend Jahre später entwickelte.«
Die Loyalität gegenüber dem König war eher durch Blutsverwandtschaft als durch einen Eid bedingt, doch im Laufe der Zeit begannen die Lokalfürsten, selber Lehen zu vergeben. Schließlich revoltierten die Fürsten gegen den König von Zhou, besiegten ihn und stuften ihn zu einem Gleichgestellten herab.
»Das führte zur Zeit der Frühlings- und Herbstannalen, einer Periode chaotischer Kriege aller gegen alle. Innerhalb von zweieinhalb Jahrhunderten wurden zwischen den Feudalstaaten fünfhundert Kriege ausgefochten. Schließlich glaubte man allgemein, dass der Staat Cu, der am Mittellauf des Jangtsekiang lag, als Sieger hervorgehen würde. Diese Sorge veranlasste die kleineren Staaten, beim Staat Qi um Schutz nachzusuchen. Qi, das über eine starke Armee, eine gesunde Wirtschaft und einen fähigen Herrscher verfügte, konnte helfen. Ein gegenseitiger Beistandspakt wurde geschlossen, und der Herzog von Qi wurde zum Hegemon oder Ba des Bündnisses ernannt und erhielt den Auftrag, den Frieden zu bewahren. Und das tat er.«
Das war Tang passend erschienen, denn Ba bedeutete: ›Vater, Beschützer‹.
Aber was Tang wirklich interessierte, war die Frage, wie dieser Schutz erreicht worden war.
Die gesamte Bevölkerung war militärisch organisiert worden. Der Handel wurde geregelt, der Staat erhielt ein Monopol auf die Münzprägung, und die Salz- und Eisenproduktion wurden unter staatliche Kontrolle gestellt. Das Ergebnis ware n eine starke Armee und eine gesunde Wirtschaft. Dies bot nicht nur Schutz vor Feinden, sondern stärkte auch die Macht des Hegemons.
»Damals traten die ersten Legalisten in Erscheinung«, hatte sein Dozent erklärt. »Sie vertraten eine Philosophie der Staatsführung, die darauf abzielte, den Herrscher zu stärken und seine Autorität zu vergrößern. Ihre
Weitere Kostenlose Bücher