Das verbotene Reich: Thriller (German Edition)
sagte der Generalsekretär.
Sie traten tiefer ins Gebäude hinein.
Überall war zu sehen, dass renoviert worden war, die Farben waren frisch, und der Stein glänzte.
» Was ist denn so dringend?«, fragte der Generalsekretär Ni.
»Erzählen Sie mir von Pau Wen.«
Der alte Mann blieb stehen.
Obwohl der Generalsekretär kurzatmig war, seine Stimme schwach und stockend und seine Hände und Finger knochig, war Ni doch bewusst, dass sein Gesprächspartner alles andere als schwerfällig im Kopf war.
»Er ist ein gefährlicher Mann.«
»In welcher Hinsicht?«, fragte Ni.
»Er ist ein Eunuche.«
»Und was bedeutet das?«
Der Generalsekretär lächelte. »Jetzt sind Sie mir gegenüber aber nicht aufrichtig. Sie wissen genau, was das bedeutet.«
Im Mausoleum brannten nur wenige Lampen, und die Klimaanlage hatte das Gebäude fast auf winterliche Temperaturen herabgekühlt.
Ni hatte seine Frage gestellt. Nun erwartete er eine Antwort.
»Einem Eunuchen kann man nicht trauen«, erklärte der Generalsekretär. »Sie sind von Natur aus unehrlich. Mit ihre m Verrat haben Sie immer wieder Dynastien zu Fall gebracht.«
»Ich brauche keine Geschichtslektion.«
»Vielleicht schon. Als der Erste Kaiser starb, sorgte sein Obereunuche durch eine Intrige dafür, dass sein ältester Sohn, der zum Nachfolger ausgewählt war, Selbstmord beging. Dann half er dem nächsten Sohn dabei, der Zweite Kaiser zu werden, denn er glaubte, dass er selbst als graue Eminenz die eigentliche Macht in Händen halten werde. Aber dieser Kaiser hielt sich nur vier Jahre. Alles, wofür Qin Shi gekämpft hatte – und was Millionen mit ihrem Tod erkauft hatten – ging innerhalb von drei Jahren nach seinem Tod verloren. Un d alles wegen eines Eunuchen. Die Geschichtsschreibung hat diesen Paria noch immer als einen Mann in Erinnerung, der einem ohne Weiteres ein Reh als Pferd unterjubeln konnte.«
Das interessierte Ni nicht im Geringsten. »Ich muss über Pau Wen und Ihre Kontakte mit ihm Bescheid wissen.«
Der ältere Mann zog die Augen zusammen, tadelte Ni aber nicht. »Pau Wen ist ebenfalls ohne Weiteres in der Lage, einem ein Reh als Pferd unterzujubeln.«
Dieser Feststellung konnte Ni nicht widersprechen.
Sie gingen weiter, und das regelmäßige Klacken des lackierten Stocks auf dem Marmorboden wurde vom Geräusch ihrer Schritte begleitet.
»Vor Jahrzehnten waren Pau Wen und ich Freunde«, erzählte der alte Mann. »Wir haben viel zusammen angepackt. Wir waren beide von Mao enttäuscht.«
Der Generalsekretär blieb stehen. Sein Gesicht verzog sich, a ls versuchte er eine lange Reihe bisher unverbundener Geda nken, von denen manche möglicherweise unangenehm waren, in Einklang zu bringen.
»Die Kulturrevolution war eine schreckliche Zeit. Die jungen Leute wurden dazu ermutigt, Ältere, Ausländer und das Bürgertum anzugreifen. Das alles hielten wir für richtig, für notwendig. Aber es war verrückt, und es war vollkommen umsonst. Am Ende war der starke Drache der Dorfschlange nicht gewachsen.«
Ni hörte das alte Sprichwort und nickte.
»China hat sich verändert«, sagte der Generalsekretär. »Die Menschen haben sich verändert. Die Regierung aber unglückseligerweise nicht.«
Ni musste die Frage stellen. »Warum erzählen Sie mir das?«
»Weil ich befürchte, Herr Minister, dass Sie die bevorstehende Schlacht gegen Karl Tang verlieren werden.«
43
Halong-Bucht
Malone schüttelte den Kopf angesichts des doppelmotorigen Amphibienflugzeugs mit den hoch angesetzten Flügeln, eine Twin Bee, die mit ihren Nieten, den massiven Streben und den dicken, rot und weiß gestrichenen Blechwänden etwas von einem Panzer hatte. Ihr Rumpf ruhte im ruhigen Wasser wie ein Boot.
»Euer Weg nach China hinein«, sagte Ivan.
»Das kann doch nicht Ihr Ernst sein«, entgegnete Cassiopeia. »Die schießen uns doch in der Luft ab.«
Der Russe schüttelte den Kopf. »Das passierte bisher noch nie.«
Ivan entfaltete eine Karte, legte sie auf das Holzgeländer de s Kais und platzierte seinen dicklichen Finger mit dem schmutzigen Nagel auf der Halong-Bucht. Von dort zog er eine Linie über Nordvietnam hinweg nach Nordwesten bis über die chinesische Grenze. Die Linie endete fünfhundert Kilometer entfernt bei der Stadt Kunming in der Provinz Yunnan.
»Sie haben freien Weg von hier bis Grenze«, sagte Ivan.
»Anscheinend sind Sie und die Vietnamesen ja wahre Busenfreunde.«
Ivan zuckte mit den Schultern. »Die haben keine andere Wahl.«
Malone
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