Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
Engagement gefallen lassen, solange er eure Unterstützung gebraucht hat, dann hat er’s auf den Müll geworfen.«
Er schob sein Wahlmaterial über den Tisch.
»Wenn wir jetzt in einem Fernsehstudio säßen, würde ich euch deswegen in der Luft zerreißen. Ihr werbt um Stimmen, aber ihr löst eure Versprechen nicht ein. Weil Bremer seine Versprechen an euch nicht einlöst. Aber das muss nicht so sein. Wir können zusammenarbeiten. Wir können Kompromisse schließen.«
Er zog scheinbar gleichgültig die Schultern hoch.
»Wir alle haben Themen, die wir opfern müssen. Ich auch.« Er hielt sein Wahlprogramm hoch. »Das ist ein Stück Papier und nicht die Bibel. Wir wollen etwas gewinnen, darauf kommt es an. Mit Bremer steht ihr am Ende mit leeren Händen da, und das wisst ihr auch.«
Er erhob sich und verteilte Morten Webers Dokument.
»Ich habe einen Entwurf für eine Zusammenarbeit zwischen uns ausgearbeitet. Es ist ein Entwurf, wie gesagt. Man kann über alles reden. Ihr wollt Veränderung. Das finde ich gut.«
Er ging an seinen Platz zurück. Die anderen blätterten in dem Dokument.
»Das ist ein großer Schritt, ich weiß. Aber zusammen haben wir die Fähigkeit, die Energie und die Ideen, um diese Stadt zu einem besseren Ort zu machen. Wenn wir jetzt nichts unternehmen, bleibt alles beim Alten. Eine Verwaltung, die auf der Stelle tritt. Keine Phantasie. Kein frisches Blut …«
»Ich finde, Bremer hat seine Sache gut gemacht«, unterbrach ihn Jens Holck.
»Das finde ich auch!«, sagte Hartmann. »Vor zwölf Jahren war er der richtige Mann im Rathaus. Aber jetzt …«
»Wir sind hier in Kopenhagen und nicht im Paradies. Ich hab noch nichts gesehen, was dich zu einem guten Oberbürgermeister machen würde. Eher im Gegenteil, wenn ich an die letzte Zeit denke.«
»Okay. Wir sollten offen reden. Warten wir ab, was die Wähler meinen.«
»Außerdem«, fuhr Holck fort, »hast du im Parlament nicht die besten Karten. Der Oberbürgermeister muss den Etat für die Stadt aushandeln. Wenn das Parlament dich ablehnt, hungern sie uns aus. Ich sehe wirklich nicht …«
»Im Umgang mit dem Parlament kommt es auf Stärke an. Mit einer breiten Allianz …« Seine Hand fegte über den Tisch. »… können wir’s besser machen als Bremer. Wenn sie uns Ärger machen, machen sie allen Ärger, versteht ihr?«
Jens Holck erhob sich.
»Nein. Ich nicht. Tut mir leid, Troels. Ich glaube nicht an dich.«
»Willst du dir meinen Vorschlag nicht wenigstens ansehen?«
»Das hab ich schon. Gute Nacht.«
Auch Mai Juhl stand auf.
»Ohne Jens geht das nicht«, sagte sie.
Die drei anderen folgten.
Allein in seinem Büro, im blauen Licht der Neonlettern des Palasthotels, fragte sich Hartmann, ob er zu weit vorgeprescht war. Eine so breite Koalition hatte es noch nie gegeben. Vielleicht war es eine verrückte Idee. Aber Verrücktes hatte in der Politik manchmal durchaus seinen Platz. Wenn sich die alte Ordnung auflöste, musste man schon mit ein bisschen Chaos rechnen. Dann kam die Stunde der Mutigen. Und er war hier nicht der einzige Mutige.
Morten Weber hatte prophezeit, dass Holck den Vorschlag rundweg ablehnen würde. Und die anderen dann auch. Weber schätzte eine Situation selten falsch ein. Er hatte aber auch gesagt, dass sie im stillen Kämmerlein noch einmal darüber nachdenken würden. Dass schon bald jemand anrufen würde. Hartmann schenkte sich einen Kognak ein. Es dauerte genau sieben Minuten. Er sah den Namen auf dem Display und lachte.
Jens Holck stand im Innenhof des Rathauses zwischen Knöterich und Efeu am Brunnen und rauchte.
»Du rauchst wieder?«, sagte Hartmann mit einem Blick auf seine Zigarette. »Schade.«
»Tja.«
Holck war ein paar Jahre jünger als Hartmann, etwa gleich groß und ähnlich gebaut, ein ehemaliger Studentenführer, jung wirkend auf den ersten Blick, aber zermürbt von mangelndem beruflichem Erfolg. Er hatte dunkle Haare, eine modische schwarze Brille und ein freudloses, oberlehrerhaftes Gesicht. In letzter Zeit hatte er nicht viel gelächelt. Sich auch nicht oft rasiert. Er sah schrecklich aus.
»Hab ich mich nicht klar genug ausgedrückt?«, fragte er.
»Doch, durchaus. Aber warum hast du dann angerufen?«
Holck bewegte den Kopf hin und her.
»Vielleicht um mich noch klarer auszudrücken.«
»Jens. Wir müssen etwas tun. Die Stadt treibt führerlos dahin. In Bremers Verwaltung herrscht das Chaos. Er hat die Finanzen nicht im Griff. Er macht, was er will.«
Holck zog an seiner
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