Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
nicht. Tut mir leid.«
»Schlafen Sie gut«, sagte sie und brachte ihn zur Tür.
Lund holte Mark von einer Party ab, fuhr ihn zu Vibeke und hörte unterwegs Radio. Hartmann war verhaftet worden, unter dem Verdacht, Nanna ermordet zu haben. Man würde den Fall vor den Wählbarkeitsausschuss bringen, und der würde ihm das Recht aberkennen, bei der Wahl zu kandidieren.
»Muss das so laut sein?«, beschwerte sich Mark.
Sie schaltete das Radio aus.
»War die Party schön?«
Der Fall Birk Larsen war wie in ihre Gehirnwindungen eingebrannt.
Nach einer sehr langen Pause sagte er gedehnt: »War okay.«
»Ich weiß, dass du die ganze Woche nicht in der Schule warst.«
Sie sah ihn an, wartete auf eine Antwort, bekam keine.
»Schon klar, dass es komisch ist, wieder hinzugehen, wo du dich schon verabschiedet hast. Aber du kannst doch nicht einfach die Schule schwänzen. Mark?«
Er schaute aus dem Fenster, in die vorüberziehende Regennacht hinaus.
»Das akzeptiere ich nicht. Verstehst du?«
Er überlegte eine Weile.
»Ist es okay, wenn ich für ein paar Tage zu Papa ziehe?«
Sie schaute stur geradeaus auf die nasse schwarze Straße.
»Wann hast du mit Carsten darüber geredet?«
»Ist es okay?«
»Nein. Es ist nicht okay. Wann hast du mit ihm geredet?«
»Ist das so wichtig? Ich bin sowieso die ganze Zeit mit Oma zusammen. Und nicht mit dir.«
»Du weißt doch, wie dein Vater ist. Er verspricht was, und dann … vergisst er’s.«
Er seufzte, den Blick auf das Armaturenbrett gerichtet.
»Und du weißt, wie dich das runterzieht, wenn er so ist. Ich lasse das nicht zu. Die sind eben erst hierhergezogen. Die haben noch alle Hände voll zu tun.«
»Er hat gesagt, er ist einverstanden.«
»Wann hat er mit dir darüber geredet? Wann?«
»Ich bin keiner von deinen Verdächtigen, Mama.«
»Wo warst du überhaupt die ganze Woche? Was hast du gemacht?«
Er schaute wieder zum Fenster hinaus.
»In Papas Haus ist alles prima. Die haben sogar ein Zimmer für mich.«
»Du musst dir das trotzdem aus dem Kopf schlagen.«
Er streckte die Beine tief in den Fußraum, verschränkte die Arme. Hin und her gerissen zwischen Kind und Teenager.
»Ich weiß, dass du’s schwer hast zur Zeit, Mark. Aber mach dir keine Sorgen. Ich finde eine Lösung. Es hat sich nichts geändert. Wir sind immer noch dieselben wie früher.«
»Nichts ist mehr wie früher. Das weißt du genau.«
»Mark …«
»Ich will nicht darüber reden.«
»Mark …«
»Es ist mein Leben!«, schrie er. »Ich bin nicht dein Eigentum.«
Achtes Kapitel
SAMSTAG, 15. NOVEMBER
Neun Uhr morgens, vor Vibekes Wohnung. Mark mit seinen Sachen. Ski und Hockeyausrüstung. Sporttaschen und ein kleiner Koffer. Hände in den Hosentaschen. Älter wirkend. Lund konnte nicht widerstehen, ging zu ihm hin, zog sorgfältig seinen Reißverschluss zu, richtete den Kragen seiner Jacke.
»Ist gut, Mama.«
»Nein, ist es nicht. Es ist kalt.«
Der Winter kündigte sich an. Der Wind schneidend kalt. Wieder ein Jahr vergangen. Mark wurde immer größer, entfernte sich immer weiter von ihr. Er scheute nicht vor ihrer Berührung zurück. Dafür war sie dankbar. Die Augen in die Ferne gerichtet. Ungeduldig.
»Da kommt Papa.«
Glänzender roter Saab. Sportfelgen. Getönte Scheiben. Männerspielzeug. Mark sah ihm lächelnd entgegen.
»Bis dann«, sagte er, nahm seine Sachen, warf sie auf den Rücksitz, stieg vorn ein.
Carsten ließ das Fenster herunter. Er sah gut aus. Dunkler Business-Anzug, neue Brille. Das Haar zu lang für einen Polizisten, aber der Polizei hatte er ja schon vor langer Zeit ade gesagt. Und damit auch ihr. Carsten war auf eine Art ehrgeizig, die sie nie begriffen hatte. Es ging ihm um Geld und Ansehen. Nicht um Leistung – was sie darunter verstand. Der Mann, den sie einmal geheiratet, den sie geliebt, mit dem sie geschlafen hatte, lächelte kurz. In seinem glatten Managergesicht ein Anflug von Bedauern, vielleicht sogar von Scham. Und ein Mal hast du mich geschlagen, erinnerte sich Lund. Nur ein Mal. Aber gebraucht hab ich auch das nicht. Der rote Saab rollte über das Kopfsteinpflaster. Lund winkte und lächelte beiden zu. Hörte sofort damit auf, als der Wagen um die Ecke verschwunden war.
»Hallo?«
Meyer stand mit seinem Wagen ein, zwei Meter hinter ihr. Sie hatte ihn nicht gehört.
»Zieht er aus?«
»Nur für ein paar Tage«, sagte sie, eine Spur zu schroff.
»Erst der Schwede. Jetzt der Junior. Hoffentlich bleibt wenigstens deine Mutter
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