Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
Pernille?«
»Was?«
»Ja«, sagte Pernille. »Es stimmt.«
»Wann kommt Papa?«, wollte Emil wissen.
Der Friedhofswärter brachte einen großen Kranz mit vielen Rosen.
»Ein bisschen später«, sagte Lotte.
»Warum ist er noch nicht da?«
Pernille starrte den Kranz an.
»Was ist denn das? Den hab ich nicht bestellt.«
Der Mann zuckte die Schultern. Legte ihn neben das Loch mit der Urne.
»Der ist heute Vormittag gekommen.«
»Wer hat ihn geschickt?«
»Es war keine Karte dabei.«
»Er ist wunderschön«, mischte sich Lotte ein.
Pernille schüttelte den Kopf.
»Ich will wissen, wo der herkommt.«
Lotte hatte einige weiße Rosen dabei. Sie gab jedem der Jungs eine und sagte ihnen, sie sollten sie auf die Urne legen. Sie taten es. Kleine schwarze Figuren in der Sonne. Sie hätten auch an einem frostigen Tag am Öresund spielen können.
»Gut gemacht«, sagte sie, als sie fertig waren.
Pernille sah sich um. Der kleine quadratische Teich voller verrottendem Holz und Algen. Die mit Schimmel und Flechten überzogenen Denkmäler. Es roch nach Verfall. Ihr wurde schlecht. Sie bückte sich, nahm den riesigen Kranz und gab ihn dem Friedhofswärter.
»Bringen Sie ihn weg. Ich will ihn da nicht haben.«
Lotte senkte betreten den Blick. Die Jungs bekamen Angst.
»Und ich will diese Stelle nicht«, sagte Pernille. »Sie gefällt mir nicht. Ich will was anderes.«
Mit dem Kranz auf den Armen wirkte der Mann in Grün peinlich berührt.
»Die haben Sie doch selbst ausgesucht.«
»Ich will nicht, dass sie hier begraben wird. Suchen Sie eine andere Stelle.«
»Pernille«, sagte Lotte. »Das ist doch eine schöne Stelle. Wir waren uns alle einig.«
Pernille Birk Larsen sah sie wütend an.
»Ich will den Kranz nicht!«, schrie sie. »Und ich will die Stelle nicht.«
»Ich kann da nichts machen«, sagte der Mann. »Wenn Sie eine andere Grabstelle wollen, müssen Sie bei der Verwaltung vorsprechen.«
»Nein, Sie reden mit der Verwaltung! Ich hab Sie schließlich bezahlt, oder?«
Sie ging beiseite und schaute auf den kleinen Teich. Das verrottende Holz. Die Algen. Eine knallrot gekleidete Gestalt näherte sich mit schnellen Schritten. Vagn Skærbæk warf nur einen Blick auf Pernille und ging geradewegs auf Lotte zu.
»Habt ihr was von ihm gehört?«, fragte er.
»Nein. Wo ist er?«
Er schaute zu der Frau am Wasser hinüber.
»Ein Kranz ohne Namen wurde hier abgegeben«, flüsterte Lotte ihm zu. »Jetzt phantasiert sie sich alles Mögliche zusammen. Ich weiß nicht …«
Skærbæk nahm den Kranz und ging damit zu Pernille.
»Pernille. Der ist von uns. Rudi und ich haben in der Arbeit gesammelt. Tut mir leid. Wir wussten nicht, was wir schreiben sollten, da haben wir gesagt, sie sollen den Kranz einfach so liefern.«
Sie sah ihn mit leerem Blick an. Er hielt ihr den Lorbeerkranz mit der Krone aus Rosen hin.
»Er ist von uns.«
Sie schüttelte den Kopf und schaute wieder auf das trübe Wasser.
»Wann kommt denn Papa?«, jammerte Emil.
Auf der anderen Seite von Vesterbro, in einer der ärmeren, ruppigeren, schmutzigeren Gegenden, die er als junger Schlägertyp oft unsicher gemacht hatte, saß Birk Larsen in einer Kneipe und trank. Starkes helles Bier aus dem Vesterbro Bryghus. Mit einem Schuss Aquavit. So wie früher. So wie er vor Pernille die Zeit totgeschlagen hatte. Geld auf der Straße verdient. Mit Dealern und Banden zusammengearbeitet. Nach allem gegriffen, was ihm über den Weg lief. Es hatte eine Zeit gegeben, da konnte er in diese Kneipe kommen und mit einem einzigen Blick alle zum Schweigen bringen. Aber das war lange her. Jetzt kannte ihn niemand mehr. Der Schläger von früher hatte sich in einen fleißigen, anständigen Vater verwandelt, mit einem Geschäft sieben Straßen weiter, das ihn von den alten Schlupfwinkeln und den alten Gewohnheiten fernhielt.
Seine große Hand umklammerte das kalte Glas. Das Bier rann rhythmisch durch seine Kehle. Betäubte den Schmerz, ohne ihn abzutöten. Aber das reichte. Hinten hörte er das Klicken von Billardkugeln, das unflätige Gequatsche der Jugendlichen, die das machten, was er früher gemacht hatte. Oder noch Ärgeres. Es waren schlimme Zeiten, obwohl er gern so tat, als wäre es anders gewesen. Die Jagd nach Geld, nach guten Geschäften. Der verzweifelte Kampf ums Überleben. Nie war das Leben härter gewesen, und kein Gehäuse, das ein Mann sich bauen konnte, vermochte ihn vor dieser Tatsache zu bewahren. Oder seine Familie zu schützen. Theis
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