Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
haben Sie sich selbst zu verdanken. Wir haben das Sommerhaus Ihrer Frau gefunden. Ich weiß, was Sie an dem Abend dort getan haben.«
Hartmann verschränkte die Arme.
»Aufgerollte Handtücher unter der Tür. Matratzen vor den Fenstern. Zeitungen in allen Ritzen und ein aufgedrehter Gasherd.«
Er schwieg verdrossen.
»Vielleicht wurden Sie gestört. Vielleicht hat Sie der Mut verlassen. Ich weiß es nicht.«
Er schaute wieder aus dem Fenster.
»Ist es denn so demütigend für einen Mann zuzugeben, dass er sich betrunken und versucht hat, sich das Leben zu nehmen? Würden Sie dadurch Stimmen verlieren? Oder Rie Skovgaard? Oder einfach nur Ihre Selbstachtung?«
Der Mann in der blauen Anstaltskleidung war in Gedanken ganz woanders.
»War es das wert?«
Keine Antwort.
»Mir ist das egal, Hartmann. Ich brauche Ihre Hilfe. Dann können Sie hier raus und weiter Ihre Spielchen im Rathaus spielen. Während wir rauszukriegen versuchen, wer von Ihnen Nanna Birk Larsen ermordet hat.«
»Sie wissen überhaupt nichts«, murmelte er.
»Ach nein? Es steht in Ihrem Tagebuch. Als Ihre Frau krank wurde, haben die Ärzte ihr gesagt, dass sie eine Behandlung braucht. Sie hat abgelehnt. Sie war schwanger. Sie wusste, dass es dem Kind schaden konnte. Also …«
Er sah sie an, und zum ersten Mal glaubte sie zu sehen, dass Troels Hartmann Angst hatte.
»Ich glaube, Sie fühlen sich schuldig. Ich glaube, es setzt Ihnen zu, Tag für Tag. Was, wenn wir ja gesagt hätten? Dann wäre sie noch am Leben. Und das Kind vielleicht auch. Und wenn nicht, dann hätte immer noch die Chance bestanden, ein anderes zu bekommen.«
Seine blauen Augen blitzten zornig.
»Ich glaube, Sie fühlen sich schuldig«, wiederholte sie. »Und in jener Nacht ist Ihnen das bewusst geworden. Auch wenn Sie in Ihrer kostbaren hohlen Rathauswelt noch so hart gearbeitet hätten – Ihr Leben, das Leben, das Sie liebten, würden Sie nie zurückbekommen. Da haben Sie aufgegeben.«
Lund nickte.
»Der starke, furchtlose, anständige Troels Hartmann lässt sich von den Dämonen unterkriegen. Und die Erinnerung daran jagt Ihnen solche Angst ein, dass Sie lieber im Gefängnis versauern, als es zuzugeben. Und so …«
Sie lehnte sich zurück, lächelte ihn an. Erleichtert, dass sich in dem dichten Gewirr loser Fäden endlich eine Linie abzeichnete, die zu einer handfesten Lösung führen konnte.
»Helfen Sie mir?«
Nichts.
»Sie schmeicheln sich, dass Sie sehr viel zu verlieren haben. Aber das stimmt nicht, Troels. Ehrlich.«
Meyer hatte eine Liste von weißen Autos, die in der Rathaus-Garage untergestellt wurden. Lund schluckte zwei Kopfschmerztabletten, sah sich die Liste gar nicht erst an. Sie hatte sich bei Hartmann solche Mühe gegeben. Sie hatte die Punkte miteinander verbunden und es ihn auch wissen lassen. Und trotzdem hatte sich nichts geändert. Der Weg zu Nannas Mörder lag nach wie vor im Dunkeln. Wenn er nicht redete, sollte er verdammt nochmal im Gefängnis verrotten.
»Ich hab die Schranke kontrolliert«, fuhr Meyer fort. »Ein Auto hat die Garage verlassen, unmittelbar nachdem Olav mit Bremer gesprochen hatte.«
Sie griff nach der Liste.
»Welcher?«
»Der Zweite von unten.«
»Philipp Bressau. Bremers Privatsekretär. Was wissen wir über ihn?«
»Frau und zwei Kinder. Bremers rechte Hand.«
»Und das Auto?«
»Hat seither nicht mehr in der Garage gestanden. Er ist gestern mit dem von seiner Frau ins Büro gefahren.«
»Bressau.«
Sie stand auf, griff nach ihrer Tasche.
Fünf Menschen an einem Loch im Boden, braune Erde, über grünes Gras geschaufelt. Ein kalter, sonniger Wintertag. Tauben, die in den kahlen Bäumen mit den Flügeln schlagen. Anton und Emil in ihren warmen schwarzen Sachen. Pernille blass und ernst in ihrem beigen Mantel. Lotte zu knallig angezogen.
Der Friedhofsdirektor trug einen grünen Arbeitsanzug und Gummistiefel. Er hielt die türkisgrüne Urne in den ausgestreckten Armen. So klein, nichts als Staub darin.
»Möchten Sie sie reinstellen?«, fragte er.
Pernille nahm die Urne, bückte sich und senkte sie mit zitternden Händen in das Grab. Richtete sich auf. Trat zurück. Schaute. Kam sich vor wie in einem Traum.
»Ist das Nanna?«, fragte Anton.
»Ja«, sagte Lotte. »Sie ist zu Asche geworden.«
»Warum?«
Lotte zögerte.
»Weil sie so leichter in den Himmel kommt.«
Die Jungs wechselten einen skeptischen Blick. Sie hatten Lottes Geschichten noch nie gemocht.
»Stimmt’s nicht,
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