Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
schmutzigen Anorak, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Legte die Poster in den Kofferraum. Drehte sich um. Graues Sweatshirt. Gesicht im Halbdunkel. Versuchte es zu verbergen. Meyers übertriebene Bemühungen, den netten Kerl zu spielen, erlahmten.
»Ich bin ganz ruhig«, hörte Lund ihn sagen. »Also bleiben Sie auch ruhig. Ich will jetzt kein ›wenn‹ und ›aber‹ und ›da muss ich Herrn Weber fragen‹ mehr hören. Geben Sie mir einfach den Namen von dem verdammten Fahrer.«
Er wurde laut. Die Männer, die die Autos beluden, sahen zu Rikke Nielsen herüber. Nur nicht der mit der Kapuze. Lund drehte sich um und forderte Meyer auf, die Lautstärke zu drosseln. Als sie wieder nach dem Mann sah, war er verschwunden. Ein Motor heulte auf, und eines der Autos schoss mit quietschenden Reifen und offener Hecktür aus der Parkbucht. Troels Hartmanns lächelndes Gesicht flog nach allen Seiten.
»Meyer!«
Auf dem Weg zur Rampe musste der Wagen an Lund vorbei. Sie trat in die Mitte der Fahrbahn, blieb stehen, sah durch die herannahende Windschutzscheibe. Ein Mann Ende dreißig, vielleicht in den Vierzigern. Unrasiert, wütende Miene, angstvoll, entschlossen.
»Lund!«, schrie Meyer und rannte zu ihr, packte sie an der Schulter, riss sie zur Seite.
Der Ford beschleunigte weiter, raste dicht an ihnen vorbei. Lund sah ihm nach, merkte kaum, dass Meyer sie in den Armen hielt und sie anstarrte, außer Atem. Wütend wahrscheinlich. Eine Reaktion, die sie öfter hervorrief. Der Wagen fegte um die Kurve Richtung Oberdeck. Meyer ließ Lund los, stürmte mit rudernden Armen schreiend zur Rampe, zog die Pistole. Lund rannte in die andere Richtung, zur Treppe, immer drei Betonstufen auf einmal, nach oben, weiter nach oben. Eine Etage, zwei. Drei, dann keine mehr. Das Oberdeck war schwarz, schimmerte im nächtlichen Regen. Vor ihr die mächtige Kuppel der Marmorkirche, schwach erleuchtet vor der Skyline der Stadt. Der Wagen stand ganz hinten, die Scheinwerfer aufgeblendet. Keine Pistole. Trotzdem ging sie auf ihn zu, versuchte etwas zu sehen.
»Polizei!«, rief sie.
»Lund!«
Meyer erschien oben an der Rampe, keuchend, hustend, kaum fähig zu sprechen. Ein Geräusch am anderen Ende. Eine Tür öffnete und schloss sich eine Etage tiefer. Lund stürzte hinüber, Meyer hinterher. Es gab noch eine zweite Treppe. Der Mann war hier heraufgefahren, um sie abzuhängen. Mit Erfolg. Sie sahen ihn unten ankommen und dann in die Nacht flüchten, in die große dunkle Stadt. Meyer war in Rage, sprang hoch wie ein Tier, fluchte, schrie so laut, dass sie sich die Ohren zuhielt.
Sie schliefen in Kleidern, einander umhüllend, sein Kummer in ihrem, ihrer in seinem. Theis Birk Larsen erwachte. Löste seine Arme vorsichtig von ihr, setzte sich an den Bettrand, stand leise auf. Wusch sich das Gesicht, aß ein Stück Brot, trank Kaffee, während die Jungen und Pernille noch schliefen. Ging dann hinunter, um den Männern gegenüberzutreten.
Zwölf in dieser Schicht. Auch Vagn Skærbæk, blass, die Augen feucht. Vagn. Teil der Familie. Der Erste, den er nachts um zwei angerufen hatte. Ein Gespräch, an das er sich kaum erinnern konnte, so zerrissen war es gewesen von Tränen und Schreien des Kummers und des Zorns. Vagn war ein guter Mann für schwere Zeiten. Von denen Theis Birk Larsen geglaubt hatte, sie seien endgültig vorbei. Er hatte Familie. Einen Fels zum Anlehnen, so wie er für sie ein Fels war. Manchmal bewegte sich der Fels auf unsichtbarem Sand. Er ging ins Büro, nahm seine schwarze Jacke vom Haken, zog sie sorgfältig an, wie er es seit vielen Jahren tat. Dann trat er vor die Männer, der Boss wie eh und je, gab Anweisungen für den Tag.
Die meisten arbeiteten schon jahrelang für ihn. Kannten seine Familie, sahen die Kinder aufwachsen. Brachten ihnen Geburtstagsgeschenke. Sahen ihre Hausaufgaben durch und trockneten ihre Tränen, wenn er oder Pernille nicht da waren. Einige waren den Tränen nahe. Nur Skærbæk konnte ihm ins Gesicht sehen. Birk Larsen versuchte zu sprechen, stand dann aber nur schweigend da.
Arbeiten .
Ein Klemmbrett. Eine Liste von Aufträgen, die bestimmten, wie die Stunden vergehen würden. Er nahm sie, ging ins Büro zurück. Sah sich um, was er tun könnte. Ein langes Schweigen. Dann rief Vagn Skærbæk den Männern zu: »Na los, bewegt euch.«
Er ging zu Birk Larsen ins Büro und setzte sich ihm gegenüber. Ein unscheinbarer kleiner Mann. Kräftiger, als seine schmächtige Gestalt vermuten ließ. Das
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