Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
stimmt’s?«
Lisa lachte.
»Komische Fragen stellen Sie!«
»Ihr seid also in den Keller gegangen.«
»Kann ich jetzt gehen?«
Lund holte den Ohrring hervor.
»Den hast du dort vergessen.«
Das Mädchen starrte den Beweisbeutel an, fluchte, wollte gehen.
»Wir können eine Menge Zeit damit vertun, das Kleid zu suchen«, sagte Lund zu ihrem Rücken hin. »Oder du sagst mir einfach, was da gelaufen ist.«
Lisa Rasmussen blieb stehen, schlang die Arme um ihre knappe rote Jacke.
»Es ist wichtig«, sagte Lund. »War Nanna auch in dem Keller? Oder warst du mit den beiden Jungs allein?«
Gefangen zwischen Kindsein und Erwachsensein.
»Ich war sauer auf sie! Okay?«
Lund verschränkte die Arme, wartete.
»Nanna wollte immer bestimmen. Sie hat mich wie ein Kind behandelt. Ich war betrunken. Dann kam Jeppe rein, dieser Mistkerl, und hat angefangen, uns zu filmen. Oliver wurde stinksauer. Ich wollte Jeppe davon abhalten. Da bin ich über ein paar Flaschen gestolpert.«
Sie krempelte ihren Ärmel hoch. Pflaster und Kratzspuren.
Lange Wunden, möglicherweise genäht.
»Hab mich geschnitten.«
»Und dann?«
»Oliver hat mich ins Krankenhaus gebracht. Wir waren die ganze Nacht dort.«
Sie setzte sich auf ein Fensterbrett. Ein klares junges Gesicht, von den Straßenlaternen beleuchtet.
»Oliver war immer noch scharf auf Nanna. Ich dachte, ich könnte …«
Sie rollte den Ärmel wieder herunter. Schlang die Arme um den Oberkörper.
»Dumm. Nanna hatte recht.«
»Und wo war Nanna?«
»Ich weiß es nicht.«
»Lisa …«
»Ich weiß es nicht!«, schrie sie. »So um halb zehn … da ist sie in den Flur gekommen und hat mir ihren Hut aufgesetzt. Hat mich umarmt. Und ciao gesagt.«
Sie sah Lund ins Gesicht.
»Das war alles. Dann ist sie gegangen.«
Lund nickte.
»Muss mein Vater das alles wissen? Der bringt mich um.«
Hartmann und Rie Skovgaard hörten auf der Fahrt zu dem Empfang Radio. In den Nachrichten wurde bereits zur Wahl aufgerufen. Das Wahlbündnis hatte die Karten neu gemischt. Ein Wechsel im lange etablierten politischen System war nicht mehr fern. Den Fall Birk Larsen schienen sie hinter sich zu haben. Vor ihnen lag die harte Arbeit des Wahlkampfs. Meetings und Pressekonferenzen. Händeschütteln, Stimmenfang.
Und private Treffen des engsten Kreises der dänischen Politik, in den prächtigen Räumen, in denen Links, Rechts und Mitte zusammenkamen, um sich freundlich lächelnd und mit schnellen Versprechungen Sparringskämpfe zu liefern, höfliche Beleidigungen auszutauschen, als Ratschläge getarnte diskrete Warnungen auszusprechen. Spät am Abend, erschöpft und nur mit dem einen Wunsch, mit Rie Skovgaard nach Hause und ins Bett zu kommen, musste Hartmann noch ihrem Vater gegenübertreten. Einem langjährigen Abgeordneten der Liberalen Partei. Kim Skovgaard war ein korpulenter, freundlicher Mann von großem Einfluss. Ein ähnlicher Typ wie Poul Bremer, der auf der anderen Seite des Raums liebenswürdig mit seinen Feinden plauderte. Das Lachen des Oberbürgermeisters dröhnte über die Versammlung hinweg.
»Ich wusste gar nicht, dass Bremer auf deiner Gästeliste steht«, sagte Hartmann.
»Halte deine Freunde in der Nähe und deine Feinde noch näher«, antwortete Kim Skovgaard mit einem vielsagenden Grinsen. »Am Ende kämpfen wir doch alle für dasselbe. Ein besseres Leben. Nur über die Mittel sind wir uns nicht einig.«
Hartmann lächelte.
»Seid ihr eigentlich noch in den Fall verwickelt?«, fragte Skovgaard.
»Du meinst den Mord an dem Mädchen?«
»Gibt’s noch was anderes?«
»Wir waren nie in den Fall verwickelt. Das war reiner Zufall. Du wirst nichts mehr davon hören.«
Skovgaard erhob sein Glas.
»Gut. Bei solchen Schlagzeilen hätte es mit der Unterstützung für dich schwierig werden können.«
»Vater …«, schaltete sich seine Tochter ein. »Nicht jetzt, ja?«
Doch Skovgaard fuhr fort: »Der Ministerpräsident … und ein paar andere fragen sich, ob du noch alles im Griff hast.«
»Keine Sorge, es ist alles unter Kontrolle. Wir werden gewinnen.« Ein Lächeln. Verloren in einem Meer von anderen. »Entschuldigt mich bitte …«
Er ging nach nebenan, fasste Bremer am Arm, bat um ein Wort. Sie schlenderten zum Kamin hinüber, wo sie unter sich waren.
»Du hast Kirsten Eller also doch noch rumgekriegt, Troels«, sagte Bremer. »Gratuliere. Ich hoffe, der Preis war nicht zu hoch.«
»Worauf willst du hinaus?«
Bremer blinzelte hinter seinen eulenhaften
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