Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
ihr Gesicht gerutscht. Blondes Haar. Der Hut bewegte sich …
»Scheiße«, sagte Lund.
Irgendetwas war passiert. Die Kamera zeigte nicht mehr das Paar. Sie hörten ihn, wie er sich anschlich. Flüche und schnelle Bewegungen. Das Mädchen, gerade noch sichtbar, läuft weg, um sich zu bedecken. Blondes Haar, Hexenhut, nackte Brüste. Nicht viel mehr.
»Ich glaub, ich hol die beiden wieder her«, sagte Meyer.
Auf der Treppe des Rathauses standen Troels Hartmann und Kirsten Eller nebeneinander, blinzelten in die hellen Scheinwerfer, lächelten, schüttelten sich die Hand.
Lund, die auf Meyer wartete, sah sich alles im Nachrichtenkanal auf ihrem Computer an. Dann kehrte sie zu dem Video zurück. Zur Schule.
Sah sich eine Passage an, die sie zuvor übersprungen hatte.
Nanna in ihrem Partykleid. Hut auf dem Kopf. Strahlte in Jeppe Halds Handy. Hob ein Glas, mit Cola, wie es schien. Lächelte. Nüchtern. Elegant und natürlich. Kein bisschen kindlich. Nicht wie die anderen.
Und ein paar Minuten später …
Nackt im Keller, Oliver Schandorff, der sie bespringt wie ein Tier.
»Tu das, Meyer«, sagte sie leise.
Als der Hausmeister der Schule Lund aufschloss, rief Meyer an.
»Ich hab sie beide.«
»Warte noch mit der Vernehmung.«
Schweigen.
»Als ich das letzte Mal nachgesehen hab, hatten wir beide gleich viele Streifen auf der Schulter.«
»Ich muss mir erst noch was ansehen.«
Ein langer Seufzer.
»Keine Sorge, Lund. Die Lorbeeren erntest sowieso du.«
Ihre Schritte hallten in den leeren dunklen Fluren.
»Warte noch zwanzig Minuten«, sagte sie und legte auf.
Die Blumen, die Nannas Mitschüler neben den Schließfächern abgelegt hatten, waren verwelkt, die Kerzen niedergebrannt. Lund ging die kalte Treppe in den Keller hinunter, leuchtete mit der Taschenlampe, tastete nach Lichtschaltern, fand keine.
Durch das Absperrband. In den versteckten Raum. Überall Linien und Nummernkarten. Eingekreiste leere Flaschen, staubig vom Fingerabdruckpulver. Sie sah sich die Matratze an. Ein großer Blutfleck am Fußende, eine rote Spur an den Rohrleitungen daneben. Nicht sehr viel Blut. Und nicht verschmiert.
Meyer wartete nicht, sah keinen Grund dafür. Er hatte Oliver Schandorff in Lunds Büro vor den Computer gesetzt, zwang ihn, sich das Video anzusehen. Den Kürbiskopf. Die betrunkenen Jugendlichen. Das Dope. Den Schnaps.
Ohne Lund war Meyer entspannter, konnte so vorgehen, wie es ihm beliebte. Er saß neben dem Jungen, beobachtete ihn, betrachtete die wirre rote Mähne, das von Angst und Schmerz verzerrte Gesicht.
»Du kannst es dir aussuchen, Oliver«, sagte er ruhig. »Entweder du legst jetzt ein Geständnis ab …«
Nanna. Mit ihrem Hexenhut. Lächelnd. Fröhlich. Schön.
»… oder wir sehen uns den Rest auch noch an. Und warten, bis am Morgen dein Anwalt kommt. Wenn er sich aus dem Bett bequemt.«
Das Handy bewegte sich vom Flur die Treppe hinunter. In den Keller. Zu dem geheimen Raum. Hinten zwei nackte Gestalten, unter einer einzelnen Glühbirne, miteinander ringend. Schandorff sah wie gebannt auf den Bildschirm.
»Ich hab die ganze Nacht Zeit«, sagte Meyer. »Aber ich weiß, dass ihr beide es wart, und du weißt es auch. Also bringen wir’s hinter uns, ja?«
Keine Antwort.
Wut regte sich in Meyer, und er versuchte sie zu unterdrücken.
»Oliver? Oliver? «
Lund holte die Fotos hervor, die sie mitgenommen hatte. Nahaufnahmen von Nannas Körper. Details der Verletzungen, die Wunden am Rücken. Aus irgendeinem Grund war der Strom abgestellt, und so sah sie sich die Bilder im Schein ihrer Taschenlampe an. Hielt sie hoch, während sie die Matratze inspizierte, die Blutflecken auf dem Boden. Nahm ein Foto von Nannas Händen heraus. Die Fingernägel kurzgeschnitten. Leuchtete im Raum umher. Nirgends eine Schere. Holte ihr Handy aus der Tasche, sah auf das Display. Kein Empfang in dieser Gruft.
Oliver Schandorff saß starr vor dem Bildschirm. Zwei kopulierende Körper. Sein auf und ab hüpfender roter Haarschopf. Er packt ihre Beine, schlingt sie um sich. Stößt ihre Hände weg, als sie sich in ihn krallen wollen. Das Objektiv ist dicht hinter ihm. Sein Rücken, sein Körper, der in rasendem Rhythmus in sie stößt. Dann verzerrt sich das Bild. Die Kamera schwenkt hierhin und dorthin, während er sich von dem Mädchen löst, erfasst den Eindringling, der sich angeschlichen hat.
Die Mundwinkel nach unten gezogen, Scham und Wut im Gesicht, saß Oliver Schandorff wie ein ungezogenes Kind im Büro der
Weitere Kostenlose Bücher