Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
Mordkommission … schwieg hartnäckig.
»Vielleicht redet Jeppe ja als Erster«, sagte Meyer.
Hald erschien auf dem Bildschirm. Sturzbetrunken.
»Vielleicht sitzt er gerade nebenan.« Meyer klopfte Schandorff auf den Arm. »Vielleicht sagt er, du warst es. Du ganz allein. Wär nicht so toll, oder?«
Er legte die Hand auf Schandorffs Schulter.
»Er ist nicht dein Freund, Oliver. Überleg doch mal. Ich weiß, ich hab dich angeschrien. Tut mir leid. Es ist nur …«
Schandorff saß stocksteif da.
»Diese Bilder von Nanna, nachdem wir sie aus dem Wasser gezogen hatten.« Meyer beobachtete ihn. »Die krieg ich nicht mehr aus dem Kopf. Zwing mich nicht, sie dir zu zeigen. Ist besser für uns beide.«
Lund konnte nicht nach draußen, um zu telefonieren. Sie hatte hier noch zu tun. Sie streifte Schutzhandschuhe über und hob ein zerbrochenes Bierglas auf, das in einem Kreidekreis lag. Richtete die Taschenlampe darauf. Lippenstift am Rand. Leuchtend orange. Knallig. Nahm das Bild von Nanna aus dem Satz Fotos von dem Fest. Nanna mit ihrem Hexenhut, dem Einzigen an ihr, was jung wirkte.
Sie fasste in den Aschenbecher, zwischen die Zigarettenstummel und Jointreste. Zog ein Stück zusammengeknüllte Alufolie heraus. Faltete es mit ihren behandschuhten Fingern auseinander. Kein Dope. Ein Ohrring. Drei falsche Diamanten, silbern gefasst.
Zurück zu den Fotos. Nanna und die anderen. Lisa Rasmussen. Es war jetzt vier Tage her, seit man Nanna Birk Larsens Leiche aus dem eiskalten Kanal in der Nähe des Flughafens gezogen hatte. Und während der ganzen Zeit hatten sie so gut wie nie ohne eine Spur gearbeitet. Hatten Schatten gejagt, die vor ihnen geflohen waren. Ein Puzzle, das Antworten verhieß. Und doch …
Dieser Fall war anders als alle, an denen sie bisher gearbeitet hatte. Da gab es Schichten und Strukturen. Geheimnisse. Rätsel. Ermittlungen waren niemals schwarz und weiß. Aber noch nie waren sie so grau und unwirklich gewesen. Lund betrachtete das Bild. Nanna und Lisa, lächelnd, fröhlich. Dann ein Geräusch über ihr. Schritte im Dunkeln.
»Vielleicht war’s gar nicht deine Idee«, sagte Meyer. »Vielleicht war’s ja Jeppes Idee, und du hast nur mitgemacht.«
Er beugte sich vor und versuchte Schandorffs Blick einzufangen.
»Oliver?«
Nichts. Nur ein unglückliches Gesicht, starr auf den Computer gerichtet.
»Das würde einiges ändern. Wenn du’s uns sagst. Also, was sollen wir jetzt machen?«
Meyer lehnte sich zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf.
»Sollen wir die ganze Nacht hier sitzen und uns noch mehr Bilder anschauen? Oder bringen wir’s hinter uns?«
Nichts.
»Gut.« Ein scharfer Unterton, den er bedauerte. »Ich hab Hunger. Aber nicht genug Geld für zwei …«
»Das ist sie nicht, Sie Idiot«, fauchte Schandorff.
Meyer blinzelte.
Wieder dieses Bockige, Gequälte in der Stimme des Jungen. Aber endlich sah Oliver Schandorff ihn an.
»Das Mädchen da. Das ist nicht Nanna.«
Oben im Flur, bei den Blumen für Nanna. Ein paar Kerzen flackerten im Dunkeln. Lund sah auf ihr Handy. Sie hatte Empfang. Hörte etwas, Schritte vom Eingang her. Dachte nicht daran, sich zu verstecken. Leuchtete mit der Taschenlampe in die Richtung.
»Lisa?«
Das Mädchen stand wie erstarrt in dem grellen weißen Licht, in der Hand eine Glasvase mit Rosen.
»Wie bist du reingekommen?«
Lisa stellte die Blumen zu den anderen.
»Die verwelken. Die Leute denken nicht mehr dran.«
»Wie bist du reingekommen?«
»Durch die Turnhalle. Das Schloss ist kaputt. Das wissen alle.«
Sie strich ihre langen blonden Haare zurück, betrachtete die Fotos und Blumen.
»Wann habt ihr euch eigentlich kennengelernt, Nanna und du?«
»In der Volksschule. Im letzten Jahr. Als Nanna sich fürs Gymnasium entschieden hat, wollte ich da auch hin.« Sie stellte die Vase um. »Ich dachte nicht, dass ich’s schaffen würde. Nanna ist intelligent. Ihr Vater hatte eigentlich gar nicht das Geld. Mein Vater hat das Geld. Aber ich … ich bin dumm.«
»Wann habt ihr euch verkracht?«
Lisa sah sie nicht an.
»Wir haben uns nicht verkracht.«
»Wir haben Nannas Handy. Du hast sie in letzter Zeit nicht mehr angerufen und auch keine SMS geschickt.«
Nichts.
»Nanna hat dich angerufen.«
»Wir haben uns gestritten. Aber nicht so richtig.«
»Wegen Oliver?«
Die Antwort kam prompt: »Das weiß ich nicht mehr.«
»Ich glaube, es war wegen Oliver. Nanna wollte nichts mehr von ihm wissen. Du bist in ihn verliebt,
Weitere Kostenlose Bücher