Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
diskret.
Eine Party. Sie erteilte Anweisungen. Geh danach sofort nach Hause. Ruf an, wenn du mich brauchst.
»Wir fahren morgen«, sagte sie. »Samstagabend. Ich buche den Flug.«
Keine Antwort.
Sie schaute auf das Telefon.
»Mark? Mark?«
Steckte es ein.
»Wie alt ist dein Sohn?«
»Zwölf.«
»Darf ich dir einen Rat geben?«
»Besser nicht.«
»Du musst ihm zuhören. Ein Junge in dem Alter hat doch eine Menge Probleme. Mit Mädchen und so. In seinem Kopf …« Meyers Stimme klang anders, neu für sie. »Das ist so in einer bestimmten Entwicklungsphase. Hör ihm einfach zu.«
Lund ging ein Stück voraus, versuchte, nicht wütend zu werden.
»Er sagt, ich interessiere mich nur für tote Menschen.«
Meyer blieb stehen, stotterte irgendetwas Unverständliches.
»Muss ja wohl sein Kopf sein«, sagte Lund. »Nummer vier, oder?«
Sie fanden das Haus und klingelten. Eine blonde Frau machte auf, sehr schwanger, sehr müde, ließ sie anstandslos herein. Rama war nicht da. Er habe ein Treffen im Jugendclub in der Nähe, sagte sie.
»Sie unterrichten auch an der Schule?«, fragte Meyer.
Es war eine hübsche, moderne Wohnung, noch längst nicht fertig renoviert. Kahle Wände, nackte Türen. Noch kaum bewohnbar.
»Ja. Mit reduziertem Deputat im Moment. Das Baby …«
Während Meyer redete, ging Lund herum, sah sich um. So hatte es sich zwischen ihnen eingespielt, ohne dass sie ein Wort darüber verloren hätten. Es schien zu funktionieren.
»Kannten Sie Nanna Birk Larsen?«, fragte er.
Ein kaum merkliches Zögern.
»Ich hatte sie nicht in der Klasse.«
Farbtöpfe, Teppichrollen, die darauf warteten, verlegt zu werden. Keine Fotos. Überhaupt nichts Persönliches.
»Waren Sie am Freitag auf der Fete?«
»Nein. Ich werde im Moment so schnell müde.«
Lund fand nichts, was von Interesse gewesen wäre, und schlenderte zu Meyer und Ramas Frau ins Wohnzimmer zurück.
»Sie waren also zu Hause«, sagte er.
»Ja. Das heißt, nicht direkt.«
Keine weitere Erklärung.
Meyer holte tief Luft und fragte: »Also waren Sie nicht zu Hause?«
»Wir haben ein Schrebergartenhäuschen bei Dragør. Da waren wir das ganze Wochenende.«
Dragør. Auf der anderen Seite von Kastrup. Keine zehn, fünfzehn Minuten von dort entfernt, wo man Nanna gefunden hatte.
»Die Wohnung hier sieht furchtbar aus im Moment. Die Böden wurden abgeschliffen. Wir konnten nicht hierbleiben.«
»Ah.« Meyer nickte. Seine Ohren, dachte Lund, wirkten größer, wenn er neugierig war. Was unmöglich schien. »Sie waren also beide dort?«
»Rama hat mich um halb neun hier abgeholt. Dann sind wir rausgefahren.«
»Nur damit ich das richtig verstehe …«
Viel größer, stellte Lund fest.
»Sie und Ihr Mann haben das Wochenende in Ihrem Schrebergarten verbracht.«
»Ja. Warum fragen Sie?«
»Nur so. Ich dachte, Sie wissen vielleicht was über die Fete in der Schule.«
»Nein, tut mir leid.«
Lund ging zum Fenster. Stieß mit dem Fuß gegen etwas. Eine Teppichrolle. Etwas, das aussah wie Jalousien. Auf dem Boden ein kreisförmig gekrümmtes schwarzes Plastikband. Sie bückte sich, hob es auf. Dachte an Nanna im Heckraum des Wagens. Füße gefesselt. Hände gefesselt. Mit etwas Ähnlichem. Meyer meinte, das verwende man bei der Gartenarbeit. Und auch, um Baumaterial zu sichern. Für vieles. Lund holte einen Beweisbeutel hervor, steckte das Band hinein.
»Möchten Sie nochmal mit ihm reden?«, fragte die Frau.
»Im Moment nicht.« Meyer steckte sein Notizbuch ein.
Lund kam zurück und fragte: »Kann ich mal die Toilette benutzen?«
»Natürlich, hier lang. Ich zeig’s Ihnen …«
»Nicht nötig. Ich finde mich schon zurecht.«
»Ihr erstes Kind?«, fragte Meyer.
»Ja.«
Lund ging weiter. Hörte die beiden noch.
»Es ist ein Mädchen.«
Meyers Stimme belebte sich.
»Ein Mädchen! Wirklich? Toll. Und Sie wissen auch schon, was es ist. Wollten Sie das? Also, ich lass mich lieber überraschen …«
Überall Plastikplanen. Garderobenhaken. Ein Bild.
»Ich könnte Ihnen ein paar gute Tipps geben, wenn es Sie interessiert.« Es klang fröhlich. »Die ersten Monate … Sie müssen dafür sorgen, dass Ihr Mann sich beteiligt.«
Lund hörte die Frau lachen.
»Sie kennen meinen Mann nicht! Das wird er ganz bestimmt tun. Da brauche ich ihn nicht zu bitten.«
Ganz leise ging Lund ins Schlafzimmer. Kleider. Fotos. Rama jünger, mit nacktem Oberkörper, lächelnd, in einer Schwimmmannschaft, wie es schien. Im Hintergrund Militärabzeichen.
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