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Das Verbrechen von Orcival

Das Verbrechen von Orcival

Titel: Das Verbrechen von Orcival Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
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ohnmächtiger Wut. »Furchtbar, wenn man nicht einmal weiß, wo sich der Elende versteckt, um ihm Mademoiselle Laurence zu entreißen!« sagte er.
    Der Polizeibeamte ergriff die Hand des Friedensrichters und schüttelte sie kräftig.
    Â»Beruhigen Sie sich«, sagte er sachlich, »wir werden ihn wiederfinden, oder ich will nicht länger Lecoq heißen; und freiheraus, ich glaube, diese Aufgabe dürfte auch nicht allzu schwierig sein.«
    Drei oder vier diskrete Schläge an die Tür unterbrachen Monsieur Lecoq. Die Zeit war weiter vorangeschritten, und im Haus waren allmählich die vertrauten Geräusche zu hören. Zehnmal mindestens hatte Madame Petit, fast krank vor Neugier, ihr Ohr an das Holz der Tür gepreßt. Vergebens. »Was hecken die da drin bloß aus?« fragte sie Louis. »Zwölf Stunden haben sie sich jetzt dort eingeschlossen, ohne Essen und Trinken; sind die denn noch bei Verstand! Ich werde für alle Fälle erst mal das Frühstück machen.«
    Dennoch war es nicht Madame Petit, die anklopfte. Es war Louis, der Gärtner, der seinem Herrn Mitteilung machen wollte von den höchst ungewöhnlichen Beschädigungen im Garten. Der Rasen war verdorben, zerstampft, verwüstet. Gleichzeitig brachte er mehrere rätselhafte Gegenstände herein, die er auf dem Rasen aufgelesen hatte. Diese Dinge erkannte Monsieur Lecoq auf den ersten Blick. »Himmel!« rief er aus. »Ich habe mich ganz vergessen. Da sitze ich und schwatze, während es hellichter Tag ist!«
    Und sich an Louis wendend, der ganz erstaunt war, diesen jungen dunkelhaarigen Mann vorzufinden, der gestern abend noch nicht anwesend war, sagte er zu ihm:
    Â»Bring mir die Toilettensachen, die mir gehören.«
    Und im Handumdrehen richtete er wieder seine Physiognomie vom Vorabend her, während der Hausherr hinausging, um einige Anordnungen zu treffen. Als Vater Plantat wieder zurückkam, traute er seinen Augen kam; dort neben dem Kamin saß der alte Lecoq – der Biedermann mit dem farblosen Haar, dem fahlblonden Backenbart und dem dümmlichen Lächeln.
    Das Frühstück wurde serviert. Schweigend und schnell wurde es verzehrt. Man hatte es eilig. Monsieur Domini erwartete sie in Corbeil, und zweifellos machte er sich über ihre Verspätung schon Sorgen.
    Louis hatte gerade einen Korb mit herrlichen Früchten auf den Tisch gestellt, als Monsieur Lecoq der Heilpraktiker einfiel.
    Â»Vielleicht hat der Kerl auch Hunger«, sagte er.
    Vater Plantat wollte seinen Bediensteten auffordern, Meister Robelot herzuholen, doch der Beamte der Sûreté war anderer Meinung.
    Â»Das ist ein gefährlicher Bursche«, sagte er, »ich hole ihn wohl lieber selbst.«
    Er ging hinaus, und es waren noch keine zehn Sekunden vergangen, als man ihn rufen hörte: »Meine Herren! Meine Herren!!!«
    Der Doktor und der Friedensrichter eilten herbei.
    Hinter der Tür der Abstellkammer lag der leblose Körper des Heilpraktikers. Der Elende hatte sich erdrosselt.
    * * *
    E s gehörte schon eine besondere Geistesgegenwart und unerhörter Mut dazu, sich in dem dunklen, engen Raum umzubringen, ohne durch irgendein Geräusch die Aufmerksamkeit der in der Bibliothek sitzenden Männer zu erregen. Ein Stück Schnur, das er beim Umhertasten zwischen alten Büchern und Zeitungsstapeln gefunden haben mußte, war das Mordwerkzeug. Er hatte es sorgfältig um seinen Hals geschlungen, und indem er sich eines Kreidestückes als Zwirbelstock bediente, hatte er sich erdrosselt.
    Ãœbrigens bot er mitnichten jenes abstoßende Aussehen, das der Volksglauben denjenigen andichtet, die durch Strangulation umkommen. Er hatte ein kalkweißes Gesicht, die Augen standen halb offen, der Mund ebenfalls, und er hatte den stumpfsinnigen Gesichtsausdruck eines Menschen, der ohne allzu große Schmerzen nach und nach das Bewußtsein verliert, weil die Sauerstoffzufuhr zum Gehirn unterbunden ist.
    Â»Vielleicht ist es noch möglich, ihn wiederzubeleben«, mutmaßte Doktor Gendron.
    Und indem er sein Besteck herausholte, kniete er sich neben dem Mann nieder.
    Dieser Selbstmord schien Monsieur Lecoq höchst ungelegen zu kommen. In dem Augenblick, da der Fall aufgeklärt war, entwischte ihm sein wichtigster Zeuge. Vater Plantat hingegen wirkte fast zufrieden, als ob dieser Selbstmord gewissen Projekten, die er noch nicht erwähnt hatte, Vorschub leistete und

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