Das Verbrechen von Orcival
davon überzeugt, daà der Herr Untersuchungsrichter, wenn er mir eine halbe Stunde Gehör schenkt, mir die Ehre geben wird, meine Ãberzeugung zu teilen.«
Dem Mann aus der Rue de Jérusalem entging mitnichten, daà Monsieur Domini unmerklich mit den Schultern zuckte, deshalb glaubte er, nicht lockerlassen zu dürfen.
»Mehr noch, ich bin überzeugt, daà mich der Herr Untersuchungsrichter nicht eher aus seinem Zimmer läÃt, bis er einen Haftbefehl gegen den Comte de Trémorel ausgestellt hat, den er im Augenblick noch für tot hält.«
»Also dann«, gab Monsieur Domini nach, »reden Sie.« Konzentriert begann Monsieur Lecoq die sowohl durch ihn als den Friedensrichter seit Beginn der Untersuchung zusammengetragenen Fakten zu rekapitulieren. Er trug sie nicht etwa vor, wie er sie erahnt oder vermutet hatte, nein, sondern in zeitlicher Abfolge und dergestalt, daà jeder neue Beweis, den er anführte, folgerichtig auf dem vorhergehenden basierte. Einmal mehr war er in seine Rolle des beflissenen Hausierers geschlüpft, sprach mit einschmeichelnder Stimme, gebrauchte übertrieben höfliche Floskeln wie: »Ich habe die Ehre...« oder »Wenn der Herr Untersuchungsrichter erlauben...«.
Je länger er redete, desto offenbarer wurde die Ãberraschung Monsieur Dominis. Manchmal lieà er sogar einen Ausruf hören wie: »Ist es möglich! Kaum zu glauben.« Monsieur Lecoq war am Ende seines Berichtes angekommen. Er steckte sich ein Bonbon in den Mund und fragte: »Und was meinen der Herr Untersuchungsrichter jetzt?« Monsieur Domini war, so muà man sagen, nicht restlos überzeugt. Selten reagiert man ja auch wohlwollend, wenn man miterlebt, wie ein Untergebener den Finger auf den wunden Punkt eines Systems legt, das man sich selbst ausgedacht hat. Aber so fest auch seine Ãberzeugung sein mochte, so ablehnend er der Meinung des anderen gegenüberstand, diesmal muÃte er wohl doch vor den allzu belastenden Fakten kapitulieren.
»Ich bin überzeugt«, erwiderte er, »daà an Clément Sauvresy unter Beteiligung des gekauften Robelot ein Verbrechen begangen wurde. Das scheint mir so offensichtlich, daà ich morgen das Ersuchen an Doktor Gendron richten werde, die Leiche des besagten Clément Sauvresy zu exhumieren und eine Autopsie vorzunehmen.«
»Und ich werde das Gift finden«, versicherte der Doktor, »Sie können sicher sein.«
»Sehr gut«, ergriff Monsieur Domini wieder das Wort. »Aber daà Monsieur de Trémorel seinen Freund vergiftet hat, um dessen Witwe zu heiraten, und deshalb folgerichtig gestern seine Frau ermordet haben und geflohen sein soll, das kann ich nicht glauben.«
Vater Plantat, der nicht einzugreifen wagte, so sehr fürchtete er, sich hinreiÃen zu lassen, stampfte vor Wut auf.
»Pardon, Herr Untersuchungsrichter«, gab Monsieur Lecoq sanft zu bedenken, »mir scheint, daà der Selbstmord von Mademoiselle Courtois â ein bis jetzt vermuteter Selbstmord â zumindest etwas beweist.«
»Das gilt es aufzuklären. Die Koinzidenz, auf die Sie anspielen, kann reiner Zufall sein.«
»Aber«, beharrte der sichtlich verärgerte Detektiv auf seiner Meinung, »ich habe den Beweis, daà sich Monsieur de Trémorel den Bart abrasiert hat; wir haben die Schuhe nicht gefunden, die er nach Aussage seines Kammerdieners am Morgen angezogen hat...«
»Sachte, mein Herr«, unterbrach ihn der Untersuchungsrichter, »sachte, ich bitte Sie. Ich behaupte ja nicht, daà Sie völlig unrecht hätten, ich will ja nur meine Bedenken äuÃern. Nehmen wir einmal an, ich stimme zu, daà Monsieur de Trémorel seine Frau ermordet hat. Er lebt, ist geflohen, na gut. Beweist das etwa die Unschuld Guespins? Hat er demnach keinerlei Anteil an dem Verbrechen?«
Das war offensichtlich die Schwachstelle in Lecoqs Annahme. Guespin. Von Hectors Schuld überzeugt, hatte er sich um den Gärtner kaum mehr gekümmert. Seine Unschuld, so hatte er gemeint, würde schon zutage treten, wenn man den Schuldigen gefaÃt hätte.
Er wollte dazu gerade etwas sagen, als man im Flur das Geräusch von Schritten und anschlieÃend Stimmen hörte. »Warten Sie«, meinte Monsieur Domini, »wir werden zweifellos über Guespin einige neue Details erfahren.«
»Erwarten Sie einen neuen Zeugen?« fragte Vater Plantat.
»Nein, aber ich
Weitere Kostenlose Bücher