Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Verbrechen von Orcival

Das Verbrechen von Orcival

Titel: Das Verbrechen von Orcival Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
Vom Netzwerk:
neugierig. Er erwartete einen Ausbruch der Verzweiflung, Schreie, Tränen, zumindest eine leichte Nervenkrise. Irrtum.
    Jenny war so weit, daß sie Hector haßte. Sie haßte ihn, wie ihn nur verlassene Mädchen hassen können: nach außen hin lächelte sie, wenn sie ihn sah, um ihm soviel Geld wie möglich aus der Tasche zu ziehen, aber insgeheim wünschte sie ihm alles erdenklich Schlechte. Weit davon entfernt, in Tränen auszubrechen, lachte sie stumpfsinnig vor sich hin.
    Â»Geschieht ihm ganz recht. Warum hat er mich verlassen. Geschieht ihr auch ganz recht...«
    Â»Warum ihr?«
    Â»Na ja. Warum betrügt sie denn ihren Mann, einen so charmanten Mann. Sie hat mir Hector weggenommen. Eine verheiratete und reiche Frau! Hector ist ein Tunichtgut, ich habe es schon immer gesagt«
    Â»Frei heraus, das war auch meine Meinung. Wenn ein Mann, sehen Sie, sich so benimmt, wie er sich Ihnen gegenüber benommen hat, dann ist es aus mit ihm.«
    Â»Nicht wahr?«
    Â»Auch ich bin deswegen gar nicht so überrascht über sein Betragen. Wissen Sie, daß er seine Frau ermordet hat, ist es ja nicht allein. Nein, er hat versucht, den Mord jemand anderem anzuhängen.«
    Â»Das erstaunt mich nicht.«
    Â»Belastet ist ein armer Teufel, heißt es, so unschuldig wie Sie und ich, der aber wahrscheinlich verurteilt wird, weil er für die fragliche Nacht vom Mittwoch zum Donnerstag kein Alibi hat.«
    Monsieur Lecoq hatte das leichthin gesagt. Der Effekt zeigte die gewünschte Wirkung.
    Â»Wissen Sie, wer dieser Mann ist?« fragte sie mit bebender Stimme.
    Â»Die Zeitungen sagen, es wäre ein armer Teufel, ich glaube, sein Gärtner.«
    Â»So ein Kleiner? Mager, sehr dunkel, schwarze Haare?«
    Â»Genau.«
    Â»Und der heißt..., warten Sie..., er heißt... Guespin.«
    Â»Ja, richtig, Sie kennen ihn demnach?«
    Jenny zögerte. Sie zitterte stark; man sah ihr an, daß sie bedauerte, sich so weit erklärt zu haben.
    Â»Bah!« meinte sie schließlich. »Ich seh nicht ein, warum ich nicht sagen soll, was ich weiß. Ich bin ein anständiges Mädchen. Und wenn Trémorel ein Mörder ist, dann will ich nicht, daß man einen armen unschuldigen Teufel einen Kopf kürzer macht.«
    Â»Sie wissen also etwas?«
    Â»Sie können ruhig sagen, daß ich alles weiß. Vor etwa acht Tagen schrieb mir mein Hector, der mich eigentlich nie wiedersehen wollte, daß er sich mit mir in Melun treffen wolle. Ich fahre hin, ich treffe ihn, und wir essen zusammen. Er erzählt mir, daß er einen Haufen Ärger habe, seine Köchin verheirate sich, aber einer seiner Dienstboten sei wahnsinnig in sie verliebt und könnte bei der Hochzeit Radau machen.«
    Â»Aha, er sprach also von der Hochzeit!«
    Â»Warten Sie. Hector schien ein wenig ratlos, wie er den Skandal, den er voraussah, unterbinden könnte. Daraufhin riet ich ihm, diesen Dienstboten einfach nicht zu der Hochzeit fahren zu lassen. Er überlegte einen Augenblick und sagte dann zu mir, das sei eine ausgezeichnete Idee.
    â€ºIch glaube, so geht es‹, sagte er dann zu mir. ›Ich kann den Kerl nicht mir nichts, dir nichts die Fahrt verbieten, aber ich werde ihn eine Besorgung für dich machen lassen. Er soll denken, daß meine Frau davon nichts erfahren darf. Du wirst ihn zwischen zehn und halb elf in einem Café an der Place du Châtelet erwarten. Damit er dich erkennt, wirst du dich direkt neben die Tür setzen und einen Blumenstrauß auf den Tisch stellen. Er übergibt dir ein Paket, du lädst ihn zu einem Gläschen ein, du machst ihn betrunken und zeigst ihm dann Paris.‹«
    Jenny suchte nach Worten, zögerte, überlegte und versuchte, das Gespräch mit Trémorel möglichst genau wiederzugeben.
    Â»Und Sie haben an diese Geschichte mit dem eifersüchtigen Dienstboten geglaubt?« fragte Monsieur Lecoq.
    Â»Nicht so direkt, aber ich dachte, es ist irgendeine Liebschaft im Spiel, aber ich war nicht abgeneigt, ihm zu helfen, seine Frau zu betrügen, die ich verabscheue.«
    Â»Also haben Sie eingewilligt.«
    Â»Es ist so gekommen, wie Hector vorausgesagt hatte. Genau um halb elf taucht mein Domestik auf, er hält mich für ein Dienstmädchen und übergibt mir das Paket. Natürlich spendiere ich ihm ein Bier, er nimmt an und bietet mir seinerseits eins an. Er ist ganz nett, dieser Gärtner, liebenswürdig und

Weitere Kostenlose Bücher