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Das Verbrechen von Orcival

Das Verbrechen von Orcival

Titel: Das Verbrechen von Orcival Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
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abgelenkt worden war, nun ernsthaft Sorgen um seinen Freund Courtois. »Was für ein Unglück ihn wohl getroffen haben mag?« sagte er zu Doktor Gendron. »Dank der beredten Unfähigkeit seines Dieners, etwas zu sagen, wissen wir nichts Näheres. Es muß mit Mademoiselle Laurence zusammenhängen und diesem Brief.«
    Inzwischen waren sie vor dem »Grenadier« angekommen. Vor der Tür der Wirtschaft stand, den Rücken gegen das Gebälk gelehnt und die Beine gekreuzt, ein vierschrötiger Kerl, der sich mit einem Eisenbahner unterhielt und dabei eine lange Tonpfeife rauchte. Das war der Wirt.
    Als er Vater Plantat erkannte, rief er diesem zu:
    Â»He! Herr Friedensrichter! Gut, daß Sie da sind. Was für ein Unglück! Kommen Sie rein, kommen Sie rein, in der Gaststube sind eine Menge Leute, die die Mörder gesehen haben. Das Tönnchen ist doch ein Saukerl! Und erst dieser Guespin! Zu Fuß geh ich nach Corbeil, wenn man sie aufs Schafott schafft.«
    Â»Erbarmen, Maître Lenfant. Sie vergessen ziemlich schnell, daß das Tönnchen und Guespin zu Ihren besten Kunden gehörten.«
    Maître Lenfant schien einen Augenblick etwas perplex durch die Entgegnung, doch die Frechheit siegte. »Schöne Kunden!« erwiderte er. »Dieser Schurke von Guespin schuldet mir noch achtunddreißig Francs, die ich nie wiedersehen werde.«
    Â»Wer weiß...«, meinte der Friedensrichter ironisch. Ȇbrigens nehmen Sie heute abend mehr als nur diese Summe ein, Sie haben ja so viel Kundschaft wie beim Jahrmarkt...«
    Während dieser kurzen Unterhaltung war Monsieur Lecoq in die Herberge gegangen und hatte sein Gepäck geholt. Sein Amt war inzwischen für niemanden mehr ein Geheimnis, und so war man ihm weniger wohlwollend als noch am Morgen begegnet, da man ihn für einen harmlosen Philister gehalten hatte.
    Als er mit seiner Tasche wieder aus der Wirtschaft trat, sagte Vater Plantat:
    Â»Beeilen wir uns. Ich mache mir doch Sorgen, was Courtois zugestoßen ist.«
    Während des kurzen Weges zum Haus des Bürgermeisters versuchte er sich allerdings selbst zu beruhigen.
    Â»Wenn bei den Courtois wirklich etwas Ernsthaftes vorgefallen wäre, hätte man mich doch sofort benachrichtigt. Vielleicht hat Laurence nur mitgeteilt, daß sie krank ist. Madame Courtois macht sich oft einen Kopf um nichts.«
    Doch nein. Es war in der Tat eine Katastrophe passiert. Vor dem Gitter der Bürgermeisterei standen etwa ein Dutzend Frauen aus dem Ort. Inmitten der Gruppe schwatzte und gestikulierte Baptiste. Doch beim Näherkommen des furchtbaren Friedensrichters stoben die Schwatzenden wie ein Schwarm erschreckter Fliegen auseinander. Sie hatten Vater Plantat nämlich schon von weitem im Schein einer Straßenlaterne erkannt.
    Denn Orcival nennt voller Stolz zwanzig Laternen sein eigen, eine Erwerbung und Geschenk von Monsieur Courtois, die in mondlosen Nächten von Einbruch der Dunkelheit bis Mitternacht brennen. Zwanzig Petroleumleuchten, die man einer Stadt abgekauft hatte, die vermögend genug geworden war, um sich Gaslaternen zu leisten. Die Laternen von Orcival leuchten nicht besonders hell, aber an nebligen Herbst- oder Winterabenden verbreiten sie immerhin so viel Helligkeit, daß man den Weg erkennen kann.
    Die unerwartete Ankunft des Friedensrichters verwirrte den ruhigen Baptiste sichtlich, der gerade im Begriff gewesen sein mußte, im Klatsch zu schwelgen. Und da er einen Heidenrespekt vor dem strengen Richter hatte, verbarg er seine Verwirrung unter seinem üblichen Lächeln. »Ach, Herr Richter!« rief er. »Ach, Herr Richter! Ich wollte Sie gerade holen. Was für eine Geschichte!«
    Â»Braucht mich dein Herr?«
    Â»Es ist nicht zu fassen«, fuhr Baptiste fort. »Als wir am Abend Valfeuillu verlassen hatten, ist Monsieur so schnell gelaufen, daß ich ihm kaum folgen konnte.«
    Baptiste hielt inne, um einen Gedanken kundzutun, der ihm gerade gekommen war. »Monsieur wirkt gar nicht flink, nicht wahr? Aber er ist es! Er ist es, und wie, obwohl er so dick ist!«
    Vater Plantat stampfte ungeduldig mit dem Fuß auf. »Schließlich kamen wir hier an«, fuhr der Bedienstete fort. »Monsieur stürmt wie ein Wirbelwind ins Wohnzimmer, wo Madame herzzerreißend schluchzt. Er ist so außer Atem, daß er nicht mal sprechen kann. Die Augen treten ihm aus dem Kopf, und er murmelt irgend etwas, das so

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