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Das Verbrechen von Orcival

Das Verbrechen von Orcival

Titel: Das Verbrechen von Orcival Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
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klingt wie: Was ist los? Was ist los? Nun, und da reicht ihm Madame, die auch kein Wort sagen kann, den Brief von Mademoiselle, den sie in der Hand hat...«
    Die drei Männer saßen wie auf glühenden Kohlen, und der drollige Diener schien die Worte besonders zu dehnen. »Nun, Monsieur nimmt den Brief entgegen und geht zum Fenster, um besser sehen zu können. Es war schon dämmerig. Oh! Mit einem Blick hat er alles erfaßt. Und dann stößt er mit einemmal einen Schrei aus, warten Sie, etwa so: Aaoohh! und rudert mit den Armen in der Luft wie ein Hund im Wasser, und dann dreht er sich zwei-, nein dreimal um sich selbst und stürzt, rums!, wie ein Mehlsack zu Boden, mit dem Gesicht zuerst. Das ist das Ende.«
    Â»Er ist tot!« schreien die drei Männer entsetzt auf.
    Â»Nein, nein, das nicht«, erwiderte Baptiste mit liebenswürdigem Lächeln, »warten Sie ab.«
    Monsieur Lecoq war sicher geduldig, aber auch nur in Maßen. Er stellte seine Taschen ab, packte Baptiste mit der rechten Hand am Arm und mit der linken am Jackenrevers und sagte: »Mein Junge, ich bitte dich ernsthaft, red schneller...«
    Das fruchtete. »Monsieur ist ohnmächtig. Das Haus gerät in Aufruhr. Jeder verliert den Kopf – außer mir. Ein Arzt, denke ich. Monsieur Gendron ist im Schloß, also der Apotheker, irgendeiner. Zum Glück treffe ich Robelot, den Quacksalber, an der Straßenecke. Komm mit, sage ich zu ihm. Er folgt mir, stößt die anderen beiseite, die Monsieur umringen, und läßt ihn zur Ader. Kurz darauf atmet Monsieur wieder, dann öffnet er die Augen, schließlich spricht er. Jetzt ist er wieder ganz bei Bewußtsein, er liegt auf einem Kanapee im Wohnzimmer und weint und weint. Er hat mir gesagt, daß er den Herrn Friedensrichter zu sehen wünscht, und ich bin sofort...«
    Â»Und Mademoiselle Laurence...?« fragte ihn Vater Plantat.
    Baptiste machte ein ernstes Gesicht. »Ach, meine Herren«, sagte er, »reden wir nicht davon, es bricht einem das Herz!«
    Der Friedensrichter und der Doktor hörten die letzten Worte schon nicht mehr. Sie waren ins Haus getreten. Monsieur Lecoq kam ihnen hinterher. Er hatte seine Reisetasche Baptiste mit den Worten anvertraut: »Bringen Sie mir das zum Haus des Friedensrichters, aber schnell!«, was dem Diener tatsächlich Beine machte.
    Wenn ein Unglück über das Haus hereinbricht, dann scheint es seinen bedrohlichen Abdruck bereits an der Schwelle zu hinterlassen. Vielleicht ist es in Wirklichkeit gar nicht so, aber die Anwesenden schienen es unbewußt so zu empfinden. Während nämlich der Arzt und Vater Plantat den Hof überquerten, vermeinten sie, daß dieses ansonsten so fröhliche und lärmende Haus einen düsteren Eindruck mache.
    In der obersten Etage huschten hinter den Fenstern tanzende Lichter hin und her. Dort kümmerte man sich um Mademoiselle Lucile, die jüngste Tochter von Monsieur Courtois, die einen Nervenzusammenbruch erlitten hatte.
    Im Vestibül saß ein fünfzehnjähriges Mädchen, die Kammerzofe von Mademoiselle Laurence, auf der untersten Treppenstufe. Wie bei den Bauersfrauen üblich, wenn sie verzweifelt sind, hatte sie ihre Schürze ans Gesicht gedrückt und weinte nun bitterlich. Einige Dienstboten standen verwirrt und wie gelähmt herum.
    Die Tür zu dem durch zwei Kerzen nur spärlich beleuchteten Salon stand weit offen. In einem ausladenden Sessel neben dem Kamin erkannte man Madame Courtois, die mehr darin lag als saß. Im Hintergrund des Raumes neben den Fenstern, die auf den Garten gingen, ruhte Monsieur Courtois auf dem Kanapee. Man hatte ihm seinen Paletot ausgezogen, und da sein Leben von der Geschwindigkeit abhing, mit der man ihn zur Ader ließ, hatte man ihm die Ärmel des Hemdes gleich abgerissen. Zwei schmale Mullbinden waren an der Stelle, wo man ihm Blut abgezapft hatte, um die ansonsten nackten Arme gewickelt.
    Neben der Tür stand ein kleiner Mann, unauffällig gekleidet, der sehr besorgt um das Wohlbefinden des Kranken schien. Das war Robelot, der Quacksalber und Heilpraktiker, den man gebeten hatte zu bleiben, um einem neuerlichen Anfall zu begegnen.
    Vater Plantats Erscheinen riß Monsieur Courtois aus der dumpfen Erstarrung, in der er vor sich hinbrütete. Er erhob sich und warf sich dem alten Friedensrichter in die Arme. Mit ersterbender Stimme sagte er: »Ach, mein Freund, ich bin so

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