Das Verbrechen von Orcival
ersten DolchstoÃ, der sie tötete, und den anderen ist zwar nicht soviel Zeit vergangen, wie Sie meinen, doch ich bin überzeugt, daà Madame de Trémorel bereits seit drei Stunden tot gewesen sein muÃ, als man sie erneut miÃhandelte.«
Monsieur Gendron hatte sich dem Billardtisch genähert und langsam das Tuch angehoben, so daà man Kopf und einen Teil des Oberkörpers der Leiche erkennen konnte.
»Leuchten Sie uns, Plantat«, sagte er.
Der Friedensrichter nahm die Lampe in die Hand und ging auf die andere Seite des Tisches. Seine Hand zitterte so stark, daà Glocke und Glas klirrten. Der tanzende Lichtschein warf bizarre Schatten an die Wand.
Das Gesicht der Comtesse war sorgfältig gewaschen und von Blut und Schlamm gereinigt worden, so daà man die Verletzungen deutlich sehen konnte. Und man sah diesem zerflieÃenden Gesicht auch an, daà es zu Lebzeiten schön gewesen war. Monsieur Lecoq stand am Kopfende des Billardtisches. Er beugte sich nach vorn, um besser sehen zu können.
»Madame de Trémorel«, sagte Doktor Gendron sachlich, »hat achtzehn Dolchstiche erhalten. Von all diesen Verletzungen war jedoch nur eine tödlich, und zwar diese hier, deren Stichkanal fast vertikal ist, da, unterhalb des Schulterblatts.«
Dabei hob er mit dem linken Arm den Leichnam an und zeigte ihnen die klaffende Wunde. Die Augen der Comtesse hatten einen flehenden Ausdruck bewahrt. Ihr Mund schien noch immer zu rufen: Steht mir bei! Helft mir!
Vater Plantat, der Mann mit dem Herz aus Stein, wandte den Kopf ab, und Doktor Gendron, der seiner ersten Gefühlsregung bereits Herr geworden war, fuhr ruhig fort: »Die Messerklinge muà drei Zentimeter breit und mindestens fünfundzwanzig Zentimeter lang gewesen sein. Alle anderen Verletzungen, ob an den Armen, der Brust oder an der Schulter, sind relativ leicht. Sie wurden dem Opfer mindestens zwei Stunden nach dem tödlichen Stich beigebracht.«
»Sehr gut«, meinte Monsieur Lecoq.
»Bedenken Sie«, erwiderte der Doktor lebhaft, »daà ich nichts weiter als eine Vermutung äuÃere. Die äuÃeren Anzeichen sind insgesamt viel zu ungefähr, als daà ich mehr als eine persönliche Meinung haben dürfte.«
Diese Darstellung des Doktors schien Monsieur Lecoq entschieden zu miÃfallen.
»Aber«, erwiderte er, »zum Zeitpunkt des...«
»Was ich mit absoluter GewiÃheit vor einem ordentlichen Gericht unter Eid erklären kann«, fiel ihm Doktor Gendron ins Wort, »ist, daà sämtliche Wunden und Quetschungen am Kopf, auÃer einer, dem Opfer nach dem Tod beigebracht wurden. Hierüber ist keinerlei Zweifel möglich. Nur dieser Schlag über dem Auge, sehen Sie, wurde Madame beigebracht, als sie noch lebte. Wie Sie selbst sehen können, ist der Blutandrang in den KapillargefäÃen beträchtlich, die Geschwulst ist auffallend, sehr schwarz im Zentrum und an den Rändern bleifarben. Die anderen Verletzungen sehen völlig anders aus, selbst hier, wo der Schlag so kräftig war, daà er das Schläfenbein durchschlagen hat, gibt es keinerlei Anzeichen für einen BluterguÃ.«
»Mir scheint, Herr Doktor«, beharrte Monsieur Lecoq, »daà man aus dieser bewiesenen Tatsache, daà die Comtesse nach ihrem Tod mit einem stumpfen Gegenstand auf den Kopf geschlagen wurde, gleichsam schluÃfolgern kann, daà ihr die Stichverletzungen ebenfalls erst nach dem Ableben beigebracht wurden.«
Monsieur Gendron dachte einen Augenblick nach.
»Kann sein, Herr Polizeiagent«, sagte er schlieÃlich, »daà Sie recht haben. Ich zweifle übrigens nicht daran. Dennoch sind die Schlüsse, die ich aus meinem Bericht ziehe, nicht die Ihren. Die Gerichtsmedizin stützt sich auf beweisbare, nachprüfbare und unumstöÃliche Fakten. Beim leisesten Zweifel muà sie verstummen. Und eine UngewiÃheit sollte dem Angeklagten und nicht der Anklage nützen.«
Das war natürlich ganz und gar nicht nach dem Geschmack des Vertreters der Polizei, aber er hütete sich, das etwa zu äuÃern. Er war im Gegenteil Doktor Gendrons Darlegungen aufmerksam gefolgt, und sein verkniffenes Gesicht lieà ahnen, was er dachte.
»Immerhin scheint mir jetzt möglich«, sagte er, »den Tathergang exakt zu rekonstruieren.«
Der Doktor hatte die Leiche wieder zugedeckt. Vater Plantat stellte die Lampe an ihren Platz
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