Das verfluchte Koenigreich
sie hervor. »Aber er darf nicht sterben. Du darfst ihn nicht sterben lassen.« Ihre Stimme überschlug sich fast und ihre Augen hatten einen flehenden Ausdruck. Tania konnte es nicht ertragen, ihre älteste Schwester so verzweifelt zu sehen – ausgerechnet Eden, die sonst immer so ruhig und gelassen war.
»Ich weiß nicht, was wir tun sollen«, gestand sie. Ihr war elend zumute.
Eden wandte sich wieder dem Grafen zu, nahm seinen Kopf in ihre zitternden Hände und beugte sich über ihn, so dicht, dass ihre Gesichter sich fast berührten. »Mylord«, schrie sie, »verlasst mich nicht!«
Tania kämpfte gegen ihre Panik an und rannte zu der Luke, die zu den unteren Decks führte. »Mutter! Hopie! Kommt schnell!«
Es war zum Verzweifeln – sie war ins Elfenreich zurückgekommen, um zu helfen, aber jetzt, wo es ernst wurde, verlor sie die Nerven. Ich bin ja eine große Hilfe , dachte sie bitter, als Titanias Gesicht im Halbdunkel erschien.
»Was ist, Tania?«, rief die Königin vom Fuß der Leiter herauf.
»Der Graf ist ins Koma gefallen oder so. Jedenfalls hat er das Bewusstsein verloren«, schrie Tania zu ihr hinunter. »Eden glaubt, dass er stirbt.«
»Wir können nichts tun«, sagte Titania. »Zwei von den Kleinen haben ebenfalls das Bewusstsein verloren. Hopie tut ihr Bestes, aber …« Die Königin ließ ihren Satz unvollendet.
»Ist gut«, rief Tania hinunter. »Ich lass mir etwas einfallen.«
Dann lief sie übers Deck zurück und kämpfte sich auf der schwankenden Gangway zum Kai hinunter.
Ich muss Oberon finden , dachte Tania. Wenn jemand mächtig genug ist, um diesem Albtraum ein Ende zu machen, dann er!
Der König stand mit Herzog Cornelius und Lord Brython am Kai. Die drei Männer waren in ein Gespräch vertieft, doch darauf konnte Tania jetzt keine Rücksicht nehmen. Sie stürmte auf die Männer zu.
»Vater – du musst kommen – schnell!«, keuchte sie und packte den König am Arm. Oberon warf ihr einen strengen Blick zu. »Tania – Haltung bewahren! Was ist los?«
»Edens Mann stirbt.«
»Nein!«, rief Cornelius. »Graf Valentyne? Das ist ganz und gar unmöglich.«
Tania blickte in sein fassungsloses Gesicht. »Doch«, entgegnete sie ernst. »Es ist möglich.«
»Ich komme«, sagte der König. »Mylords – kümmert Euch um Eure Leute – befehlt den Bewohnern von Rhyehaven, in den Häusern zu bleiben, wenn wir durchkommen. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Krankheit sich auch hier ausbreitet. Sorgt dafür, dass alle Schiffspassagiere die Stadt unverzüglich durchqueren und so schnell wie möglich auf das Kliff hinaufkommen.«
»Wie Ihr befehlt, Sire«, erwiderten die beiden Lords.
»Bitte komm schnell, Vater«, drängte Tania den König. »Du musst etwas tun, jetzt sofort, sonst stirbt Graf Valentyne.«
Oberon ging mit raschen Schritten zum Quarantäneschiff. »Ich habe kein Mittel gegen die Krankheit, Tania«, sagte er. »Damit musst du dich abfinden. Doch vielleicht kann ich den Tod eine Weile aufhalten …«
Als sie an Bord kamen, fanden sie Eden neben dem Bett ihres kranken Manns. Sie kauerte am Boden, ihr Kopf war nach vorn gesunken, ihre Hände lagen auf Graf Valentynes Brust.
»Geh beiseite, Kind«, befahl der König. »Es ist Zeit für den Güldenschlaf.«
Eden blickte ihren Vater hoffnungsvoll an. Langsam erhob sie sich und trat vom Bett zurück.
Oberon spreizte die Finger und streckte seine Hand über den Körper von Graf Valentyne.
Eine tiefe Stille senkte sich über das Elfenreich. Selbst die Seemöwen verstummten und auch das Knarren der Takelagen und das Plätschern der Wellen am Bug waren nicht mehr zu hören.
Oberons Hand begann zu glühen. Goldene Tropfen fielen von seinen Fingerspitzen und es schien, als prallten sie direkt über der Brust des Grafen auf eine unsichtbare Glaskuppel. Die goldenen Tropfen vereinigten sich zu Rinnsalen und schlängelten sich zu beiden Seiten herunter, breiteten sich aus, bis sie ein hauchdünnes Netz aus schimmernden Fäden bildeten. Tania beobachtete staunend, wie Valentynes regloser Körper zu schweben begann und über dem Bett in der Luft stand. Die Fäden aus goldenem Licht wickelten ihn ein, sodass er nach einer Weile ganz in Licht gehüllt schien.
Eden schrie auf, als die goldenen Fäden sich immer mehr verdichteten. Schließlich war der Graf vollständig in einen golden schimmernden Kokon eingesponnen, in dem sich sein schwebender Körper abzeichnete.
Tanias Blick fiel auf den König. Oberon schwitzte und presste die
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