Das vergessene Zepter
Knochen.«
»Aber ist das denn gut für deinen Husten?«
»Rauch ist schlecht. HeiÃer Dampf ist herrlich.«
»Dann mach das doch. Sei vorsichtig und gib auf dich acht, damit du nicht im Wasser einen Anfall bekommst.«
»Du muÃt mitkommen und auf mich aufpassen.«
»Was? Nein!«
»Du wolltest mich doch behüten. Wie kannst du da also fernbleiben, wenn ich mich so sehr in Gefahr begebe?«
»Aber wie stellst du dir das denn vor? Wir können ohnehin nicht zusammen baden. Männer und Frauen sind doch sicherlich getrennt voneinander.«
»Wir können uns doch wenigstens erkundigen.«
Tatsächlich stellte sich heraus, daà die allgemeinen Badehausbereiche nach Geschlechtern unterteilt waren, aber Paare, die sich »im von den Göttern gesegneten Stand der Ehe« befanden, konnten eine gemeinsame Bottichkammer mieten. Rodraeg sagte frech, daà sie selbstverständlich verheiratet wären, und die streng gescheitelte Empfangsdame glaubte es ihnen, weil Naenn so schamhaft war.
Also teilten sie sich einen groÃen Bottich voll mit warmem Wasser, milden Ãlen und duftspendenden Essenzen. Naenn war beim Baden von den Achseln bis zu den Knöcheln in ein weiÃes Tuch gehüllt, Rodraeg trug lediglich einen Lendenwickel. Aber sie teilten sich die Nähe, und wenn Rodraeg die Augen schloÃ, konnte er sich vorstellen, daà die Wärme, die ihn umschmeichelte, die ihre war, und der Dampf, der ihn umhüllte, ihr Atem. Sie war so verwirrend körperlich, daà alle Zeiten und Geschichten ihre Bedeutungen vertauschten.
Sie wies ihn an, ruhiger zu atmen, und übergoà ihn mit frischem Wasser.
Sie lieà sich von ihm das Haar waschen und die Kopfhaut massieren.
Er atmete ruhiger.
»Siehst du?« sagte er. »Keine Anfälle. Mein Körper fühlt sich schwerelos an, und meine Lunge hat nur wenig zu tun.«
Dann, ohne Vorwarnung, mit einer langsamen Bewegung, löste sie ihr Tuch ein wenig, so daà es ihr Dekolleté zwar immer noch bedeckte, aber ihre Flügel freigab. Ãber die Schulter hinweg blickte sie Rodraeg an und hauchte: »Vergià nie, daà ich nicht menschlich bin. Schau hin und versuche zu verstehen, weshalb man mich haÃt.«
Sie waren nicht verkümmert oder unterentwickelt. Sie saÃen an Naenns Schulterblättern, hatten die vollendete Form von Schmetterlingsflügeln, mehrgeteilt und durchschimmernd, sie waren in sich faltbar, von einem matten, verletzlichen Rot mit himmelblau durchwirkten Rändern, und sie waren lediglich viel zu klein, als daà ein Wesen von der GröÃe eines Menschen damit hätte fliegen können. Jede der beiden zarten Schwingen hatte die GröÃe einer gespreizten Hand.
Rodraeg begriff, daà selbst Ryot Melron ihre Flügel höchstwahrscheinlich nie zu Gesicht bekommen hatte. Diese Flügel zu berühren, sie von einem Mann berühren zu lassen, kam einem Ewigkeitsversprechen gleich.
Er war auÃerstande, sich zu regen, auch, weil der umherwabernde Dampf das Ganze fast zur Unwirklichkeit verklärte. Naenn schlug ihr Tuch wieder hoch und hielt so die Farbigkeit im Zaum.
Verwundert stellte Rodraeg fest, daà er ein wenig wütend auf sie war, weil sie so berechnend mit ihm kokettierte. Weil sie ihm offensichtliche Schönheit zeigte und gleichzeitig behauptete, dies sei ein Grund zur Abscheu. Das war ein sehr plumpes Spiel, und von Naenn hatte er immer so viel mehr erwartet. Aber andererseits â und dieser Gedanke zerstreute seine Wut â war sie noch unglaublich jung. Wie konnte man von ihr verlangen, sich nicht ausprobieren zu wollen, die eigene Wirkung nicht an hilflos zappelnden Männern zu testen? Er selbst war kaum anders gewesen in ihrem Alter, und er war niemals so eine herausragende Erscheinung gewesen wie sie.
»Verzeih mir«, sagte sie jedoch zu seiner Ãberraschung. »Ich wollte nicht ⦠unverschämt sein. Es gab einen Grund, weshalb ich dir das jetzt zeigen muÃte. Ich vermute nämlich schon seit Tagen, daà es keine andere Erklärung für Gerimmirs Brief und seinen Gruà aus dem Wildbart gibt, als daà er uns mit Riesen zusammenführen möchte. Und ich wollte, daà du ein BewuÃtsein bekommst für die Andersartigkeit der nichtmenschlichen Völker. Mögen wir auch noch so vertraut erscheinen, noch so verständlich â wir sind eben doch anders.«
»Weil du Flügel
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