Das verhängnisvolle Experiment
Speichers wie der Rücken einer kleinen, roten Schildkröte hätte über die ebene Platte erheben müssen, war jetzt eine silberne Mulde, in der ein Hauch von Staub lag.
»Wo befindet sich der Logspeicher?« fragte er den Servator, ohne Hoffnung auf eine vernünftige Antwort.
Er sollte sich nicht geirrt haben. »Keine Information!« erklärte die Maschine.
»Wenn es stimmt, daß Blossom als letzter von Bord gegangen ist, dann müßte er ihn mitgenommen haben«, sinnierte Lora und ließ die Tür zum Zentralgang aufgleiten.
»Richtig!« sagte die junge, wohltönende Stimme des Servators hinter ihnen.
Sie fuhren herum. »Was, zum Teufel, ist richtig?«
Die Maschine blieb unbeeindruckt. »Beide Informationen sind exakt«, antwortete sie. »Blossom hat das Schiff als letzter verlassen, und Blossom hat den Logspeicher an sich genommen. Da er bisher nicht zurückgekehrt ist, müßte er nach wie vor im Besitz des Speichers sein.«
Er trat einen Schritt in die Zentrale zurück. »Und weshalb hast du uns mitgeteilt, du wüßtest nicht, wo sich der Speicher befindet?«
Der Servator besann sich keinen Augenblick. »Blossoms derzeitiger Aufenthaltsort ist mir nicht bekannt«, erklärte er.
Sie gaben weitere Versuche auf. Hier würden sie nicht mehr erfahren, als sie ohnehin wußten. Das wichtigste war wohl jetzt, das Original des verstümmelt eingetroffenen Funkspruches abzuhören und zu analysieren. Auf diesen winzigen Speicherwürfel konzentrierte sich ihre gesamte Hoffnung, auch wenn sie sich sagen mußten, daß es keinen Anlaß gab, zu glauben, dieser Spruch enthielte zuverlässigere Informationen als die Speicher des Servators selbst. Wenn Blossom der Dreh- und Angelpunkt der Ereignisse gewesen war, dann hatte er nicht ausgerechnet in seiner letzten Mitteilung wahrheitsgemäße Angaben gemacht.
Sie gingen die wenigen hundert Meter bis zur Känguruh 2 zu Fuß. Der Himmel war jetzt fast schwarz, was den Sternen einen ungewöhnlich starken Glanz verlieh. Im Osten stieg langsam der winzige Mond Prognostes über den Wall herauf. Auf der Ebene wehte ein leichter Wind, wirbelte hier und da die Reste verkohlter Pflanzen empor und spielte raschelnd mit den Bandblättern der unversehrten Bäume, jenseits des leergebrannten Bereiches.
Die Känguruh 2 erhob sich wie ein riesiger schwarzer Turm im diffusen Schimmer der Sterne, die Nacht verwischte alle Konturen, nichts war geblieben von den unzähligen Einzelheiten irdischer Technik, das Schiff stand wie ein für alle Ewigkeiten errichtetes Denkmal. Dann aber trat das phosphoreszierende Leuchten aus dem Dunkel, der sich sacht bewegende Vorhang aus Licht, der von der Spitze der Känguruh in schlankem Kegel zu Boden floß.
Ein ungewöhnliches Gefühl überkam ihn. Er sah sich irgendwo in einer der nördlichen Städte der Erde auf der Straße stehen. Den Kopf weit im Nacken, blickte er über die Silhouetten der Häuser hinweg auf den zuckenden Vorhang des Nordlichtes. Neben ihm stand Doreen, und sie hielten sich an den Händen wie Kinder, versunken in das unvergleichliche Spiel des Lichtes.
So stark war die Erinnerung, daß er die Wärme dieser anderen Hand in der seinen zu spüren meinte, daß er die Stadt zu erkennen glaubte, in der sie standen und schauten, obwohl er, als er in die Wirklichkeit zurückkehrte, nicht zu sagen vermochte, in welchen Ort der Erde ihn seine Gedanken versetzt hatten, und auch nicht, ob es die Hand Doreens gewesen war oder die einer anderen Frau.
Die Erde! Im Gehen hob er den Kopf und ließ seinen Blick über die Lichtsplitter da oben wandern. Er fand sich wie immer sehr schnell in den fremden Konstellationen zurecht, den gelben Funken der heimatlichen Sonne entdeckte er sofort. Sie stand fast genau über der Känguruh 2, nicht mehr als ein kaum sichtbares Pünktchen zwischen tausend anderen. Dort irgendwo, in ihrer unmittelbaren Nähe, dort war auch die Erde, sie schwamm fast schon in den äußersten Gasschleiern der Sonne, unsichtbar für jeden, der das irdische System verlassen hatte. Verborgen in der Schwärze des Alls und doch von unschätzbarem Wert, unsichtbar und doch von außergewöhnlicher Schönheit. Und so zerbrechlich, daß es jeder Hand und jedes Hirns bedurfte, sie zu beschützen und zu erhalten.
Er wußte, aus welchen Quellen diese Gedanken heraufstiegen während des kurzen Weges über die Ebene. Irgendwann, sagte er sich, beginnt sich das Innere eines Menschen gegen die Einsamkeit zu wehren, irgendwann kehrt das Bedürfnis,
Weitere Kostenlose Bücher