Das verhängnisvolle Experiment
sich mitzuteilen, auch zu dem zurück, der es abgestreift zu haben glaubt wie eine lästige Hülle. Dann plötzlich spürt er den Wunsch, sich jemandem anzuvertrauen, alle Sorgen beim Namen zu nennen, so laut und so genau, daß sie vor der Gemeinschaft all ihre Schrecken und alles Unabwendliche verlieren, daß sie ganz klein werden. Irgendwann verlangt das Leben nach dem anderen, aus so vielfältigen Gründen, daß sie sich auf der kurzen Strecke zwischen den Schiffen noch nicht einmal zu einem Bruchteil denken ließen.
Wie nur hatte er annehmen können, er wäre imstande, seinen Weg allein zu gehen, allein all das zu tragen, was das Leben an Lasten für ihn bereithielt? Fälle den Wald und laß einen einzelnen Baum stehen, der erste Sturm wird ihn entwurzeln.
Unwillkürlich ging er schneller.
Der Speicherwürfel gab ihnen einen ersten Hinweis. Der von Blossom eingegebene Text schilderte Zusammenhänge, an denen sie nicht den mindesten Zweifel gehegt hätten, wäre Lannerts Verhalten auch nur annähernd normal geblieben.
Auch Blossom hatte sich Procyon 4 als eine Welt der Apokalypse vorgestellt. Er schilderte eine friedlich kontemplative Zivilisation schöner Menschen, die durch eine sadistisch veranlagte Rasse selbsternannter Herren bis auf das Blut gepeinigt, unterdrückt und auf dem Stand von Zootieren gehalten wurden. Man hindere diese Menschen, so behauptete Blossom, an ihrer normalen Entfaltung, an jeder der ihnen gemäßen Lebensäußerungen, die Unterdrückung sei perfekt bis hin zu der durch Parthenogenese gesteuerten einfachen Reproduktion.
Das, was Blossom da niedergelegt hatte, unterschied sich kaum von dem, was auch sie selbst entdeckt zu haben glaubten. Nur klang es in seiner Diktion noch weit kategorischer, zumal er die Möglichkeit einer falschen Interpretation überhaupt nicht in Betracht gezogen zu haben schien.
Entsprechend waren die Schlußfolgerungen der beiden Hastoniden und ihre daraus resultierenden Aktivitäten gewesen. Blossom berichtete von heftigen Auseinandersetzungen mit den Menschen der Expedition, die sich für abwartendes Beobachten entschieden hatten, davon, daß er sich gezwungen gesehen habe, den Kommandanten eigenhändig zu »liquidieren«, von einem anschließenden Feldzug gegen die Gelben, und er erklärte zum Abschluß, daß er und Moreaux sich des Schiffes bemächtigt hätten, um sich die Basis für ein erfolgreiches Eingreifen zu schaffen.
Sie sahen sich, als sie Blossoms Bericht gehört hatten, zuerst erstaunt und dann erschrocken an.
»Das hätte uns, glaube ich«, sagte Maara schließlich, »ganz ähnlich ergehen können.«
»Nicht, was das Eingreifen betrifft«, wehrte Vanda ab.
Doch Dellak korrigierte sofort: »Lannert hat eingegriffen!«
Das klang sehr bestimmt und wohl auch ein wenig schuldbewußt. Denn schließlich hatten sie zumindest anfangs alle ähnlich gedacht wie Lannert. Und wie Moreaux und Blossom. Auch sie hatten den Drang verspürt, etwas zu unternehmen, sie hatten lediglich der Disziplin gehorcht, als sie es nicht taten. Und dabei waren sie sich vorgekommen wie jemand, der einen Ertrinkenden beobachtet und ihm doch nicht die Hand reicht. Aus Gründen der Disziplin. Weil er nicht berechtigt war, dem anderen zu helfen. Weil ihm befohlen worden war, sich nicht berechtigt zu fühlen.
Es war nicht leicht, eine solche Weisung angesichts der Verhältnisse zu akzeptieren, auch jetzt noch nicht und auch für ihn nicht. Insofern brachte er den Hastoniden ein gewisses Maß an Verständnis entgegen. Sie hatten sich eingemischt, weil sie den Blauen helfen wollten, weil sie sich ihnen verbunden fühlten, und vor allem, weil Disziplin ihre Stärke nicht war. Und das hatten sie in der ihnen gemäßen Weise getan, mit der Waffe in der Hand. So sah das aus.
Man mochte über diese Weisung, über das immer wieder zitierte und kritisierte Verbot der Einmischung in die Angelegenheiten einer fremden Zivilisation, denken, was man wollte, es war letztlich eine Fessel. Eine bewährte vielleicht, eine, die sich hier auf Procyon 4 vielleicht auch als gut und richtig erweisen würde, aber war Beobachten und Abwarten deshalb die einzig sinnvolle Art und Weise, mit anderen umzugehen?
Vielleicht hätte man von Anfang an mehr auf Intuition setzen sollen als auf Reglementierung, und sicherlich wäre es auch notwendig gewesen, sich mit dem Verhalten der Hastoniden genauer zu befassen. Es gab ja schließlich auch Menschen, die sich gegen Fesseln sträubten, und zwar
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