Das verhängnisvolle Experiment
Fernstehenden. Auch heute noch fühlte sie sich denen, die sich selbst Flipper nannten und die von der Gesellschaft mit nachsichtiger Distanz als Kontemplanten bezeichnet wurden, irgendwie verwandt. Nur hatten ihr eben drei Jahre ausgereicht, um zu begreifen, daß Ideale nicht dadurch zu verwirklichen waren, daß man sich ausschloß.
Dies hier allerdings, das wußte sie, hatte nichts mit einer freiwilligen oder gar mutwilligen Abkehr von allgemeinen Verhaltensnormen zu tun. Obwohl sich alles in ihr gegen diesen Gedanken sträubte, mußte sie Bosk zustimmen. Die Ansiedlung erinnerte wirklich an ein Gehege, in dem sich jemand zu seinem Vergnügen hübsche Tiere hielt. Und damit kam sie auf die gleiche Frage, die auch Bosk gestellt hatte: »Ja, wer?«
Bosk hob langsam die Schultern. »Das war eigentlich nur so ein Gedanke«, sagte er sinnend. »Denn wenn ich es mir genau überlege, dann sehe ich mindestens einen Punkt, der gegen diese Hypothese spricht.
Wir auf der Erde halten unsere Haustiere in vermehrungsfähigen Populationen. Hier sind jedoch ausschließlich weibliche…«
Ein Hüsteln unterbrach Bosk. »Begreift ihr nicht, was ihr hier vor euch habt?« Sie erkannte die Stimme und das Hüsteln sofort. Es war das schleppende und ein wenig kurzatmige Organ Hastons. »Seht euch doch die Gesichter an, diese bis ins letzte übereinstimmenden Körper, die Größe, alles ist identisch, sogar die Farbe ihrer Augen. Ich bin sicher, daß man selbst in den Papillarlinien keine Unterschiede feststellen könnte. Wißt ihr, was das bedeutet?«
»Klonierung?« fragte jemand.
»Möglich!« Wieder Hastons Stimme. »Aber nicht sehr wahrscheinlich. Der Aufwand wäre zu hoch. Ich glaube nicht, daß die hier derartiges können. Ich vermute vielmehr parthenogenetische Vermehrung.«
»Infolge evolutionärer Besonderheiten? Oder…« Das war diesmal Lannerts Stimme, laut und direkt, seit kurzem vermied Lannert den Umweg über Funk. Aus seinen Worten klang mühsam unterdrücktes Lauern.
»Unwahrscheinlich«, murmelte Haston. »Bisexualität scheint mir einer der Grundzüge der belebten Natur zu sein.« Er sagte das sehr nachdenklich, und Lannert stieß ein tiefes Knurren aus, dessen Sinn nicht zu deuten war.
Am Nachmittag dieses Tages rissen die Wolken auf, gelbliches Sonnenlicht übergoß Häuser und Wald, die Blauen rekelten sich wohlig in der Wärme. Und dann geschah etwas, womit nach allem nicht mehr zu rechnen gewesen war.
Eine der Blauen stand auf und ging auf Haston zu. Brian Haston hatte sich drüben am Rand der Lichtung auf einem seltsam geformten, flachen Stein niedergelassen, und dort saß er noch immer. Es war ein ungewöhnlicher Stein, dessen äußere Form keinesfalls natürlichen Ursprungs sein konnte. Kaum dreißig Zentimeter hoch, von etwa quadratischem Grundriß mit einer Kantenlänge von knapp einem halben Meter, wies er in seiner Oberfläche zwei flache Eindellungen auf, die wie durch Jahrhunderte andauernden Tropfenfall entstandene Kolke aussahen.
Auf diesem Stein hockte Brian Haston. Mit angezogenen Knien und gesenktem Kopf. Er war so tief in Gedanken versunken, daß er aufschrie, als ihn die Blaue am Arm packte, ihn emporriß und eine Serie schriller Schreie ausstieß, die wie das Gekreisch einer wütenden Möwe klangen. Haston schien ebenso überrascht wie verstört, er stand mit gesenktem Kopf und ließ die Attacke über sich ergehen, anscheinend ohne das mindeste zu begreifen.
Der Überfall endete ebenso unvermittelt, wie er begonnen hatte. Die Blaue wandte sich ab und ging zu ihrer Gruppe zurück, als wäre nichts geschehen. Und obwohl Haston spätestens jetzt hätte verstehen müssen, daß es sich bei diesem Stein um einen Kultgegenstand oder ähnliches handeln mußte, ließ er sich in seine vorige Lage zurücksinken.
Sofort wiederholte sich die Szene. Und wieder war es unverkennbar, daß dabei der Stein eine entscheidende Rolle spielte. So gab Haston schließlich nach, ging hinüber zur Spinne und setzte sich auf den ausgestreckten Schenkel einer der vorderen Laufstützen. Begriffen hatte er das alles wohl immer noch nicht.
Da sah Toria, daß sich Lannert in Bewegung setzte, und sie wußte sofort, daß sich in den nächsten Minuten Unglaubliches ereignen würde. Der Hastonide bewegte sich am Rand der Lichtung entlang. Da er stets außerhalb der bunten Stangen blieb, konnte man annehmen, daß er sich bereits eine Theorie über die Gründe dieses ungewöhnlichen Vorganges gebildet hatte. Er
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