Das Verheissene Land
als am Vortag, als wären die Bäume noch nicht aus ihrem Nachtschlaf erwacht. Sie standen stumm und uralt unter Moospolstern und rissiger Rinde, und ihre Wurzeln wanden sich über den trockenen Boden. Während Bran und Dielan durch den Wald liefen, wurde ihnen bewusst, wie lange sie auf dem Meer gewesen waren. Der Seegang steckte ihnen noch immer in den Knochen und ließ den Boden unter ihren Füßen schwanken. Nicht weit vom Waldrand entfernt kamen sie an dem Kolk vorbei, den das Felsenvolk bis auf den letzten Tropfen Wasser geleert hatte. Jetzt war nur noch Schlamm übrig.
Die Brüder machten einen Bogen um die Lichtung mit den Riesenbeeren und kamen zu einem Wald aus Farn. Die Farnbüschel wuchsen so dicht, dass man den Waldboden nicht mehr sehen konnte. Dielan warf einen Stock in das Gestrüpp, um Kleintiere und Schlangen zu vertreiben, worauf ein Rauschen durch den Wald ging, als raunten die Bäume sich etwas über die Eindringlinge zu. Bran zeigte zu den Baumkronen, und da wussten die Brüder, dass es nur der Wind war.
Bran und Dielan hatten jeder einen Leinenbeutel mit Äpfeln mitgenommen, und als die Wärme ihnen verriet, dass die Sonne hoch über dem Blätterdach stand, ließen sie sich auf einem vom Wind gefällten Baumstamm nieder und aßen etwas. Während sie von dem bitteren Wasser tranken, suchten ihre Blicke zwischen den Bäumen nach Felsspalten und Höhlen, da sie aus Erfahrung wussten, dass dort oft auch Bäche oder Wasserlöcher zu finden waren. Aber der Boden war flach und glatt wie eine von Schnee bedeckte Ebene.
Dielan legte den Umhang ab und knotete sich das Hemd um die Taille, weil es zwischen den Bäumen immer wärmer wurde. Wenige Pfeilschüsse von ihrem Rastplatz entfernt begann das Gelände anzusteigen, und auf halber Höhe zu der Hügelkuppe ertönte plötzlich wieder das dämonische Brüllen. Die Brüder griffen nach ihren Pfeilköchern. Das Lachen verhallte über den Baumkronen, wurde aber sogleich von einem Heulen aus südlicher Richtung beantwortet. Dielan, der vorne ging, zeigte nach Norden und schwenkte seitwärts ab. Eine Weile kletterten sie so über Steine und trockenes Moos, das unter ihren Stiefeln knirschte. Die Steigung schien überhaupt kein Ende nehmen zu wollen. Als sie sich schließlich wieder nach Osten wandten, stießen sie auf ein Geröllfeld und entdeckten das erste Lebenszeichen. Irgendein Tier hatte einen Vogel gefangen und hier zwischen den Steinen gefressen. Fliegen schwirrten um den blutbefleckten Flügel und die verstreuten Federn herum.
»Raubtiere.« Dielan stieg über die Steinbrocken und hob den Flügel auf. Er reichte ihm von der Taille bis zum Hals.
»Dann gibt es hier auch Wasser.« Bran ging zu seinem Bruder und nahm einen großen Schluck aus dem Schlauch. Dann rückte er die Fellrolle zurecht und machte sich auf den Weg über den steinigen Hang.
Der Hügel war höher, als er von unten ausgesehen hatte. Als sie endlich auf den riesigen Fels auf der Kuppe kletterten, breitete sich der Wald im Westen wie ein grüner Laubteppich unter ihnen aus. Sie befanden sich auf einem Höhenzug. Viele Pfeilschüsse von ihnen entfernt in westlicher Richtung glitzerten die Wellen im Licht der untergehenden Sonne.
Am steilen Westhang des Höhenzugs machten sie sich an den Abstieg. Hier wuchsen keine Apfelbäume mehr, dafür war der Boden zu steinig. Nur ein paar knorrige Kiefern und Wacholderbüsche krallten sich in jeder noch so kleinen Spalte oder Ritze fest. Als die Brüder über einen vermoderten Stamm balancierten, flog im Tal ein grauer Vogel auf, größer als ein Adler und mit langen Beinen und gestrecktem Hals. Selbst der Schnabel war lang. Bran hatte noch niemals so einen Vogel gesehen, und die Brüder kauerten sich auf die Erde, als der Vogel über dem Höhenzug kreiste. Direkt über ihnen öffnete er den Schnabel und stieß einen schrillen Schrei aus, doch der heisere Ruf hatte keinerlei Ähnlichkeit mit dem dämonischen Gelächter.
Bran und Dielan wurde klar, dass sie vor Sonnenuntergang kein Wasser mehr finden würden. Dielan kletterte auf eine Kiefer und hielt Ausschau nach einer Senke in dem Wald am Fuß des Berges, aber dort unten war nichts, was auf einen Bach oder Tümpel hindeutete. Sie beschlossen, hier am Hang ihr Lager aufzuschlagen, bevor die Sonne hinter dem Hügelkamm versank.
Während Dielan Holz sammelte, schichtete Bran im Schutz eines großen Felsens Steine für eine Feuerstelle auf. Von diesem Felsen aus hatte er freie Sicht
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