Das Verheissene Land
darüber. Er lehnte seine Stirn an Tirs magere Schulter und schloss die Augen. Die Schmerzen hatten ihn lange in Frieden gelassen, doch jetzt kamen sie zurück. Er schob seine Hand unter ihren Arm, vorbei an dem Kind und suchte ihre schlanken Finger. Sie nahm sie und streichelte ihm über den Handrücken. Sie spürte es. Sie verstand. Er brauchte sie auf diesem letzten Stück Weg in das Tal.
»Es ist spät geworden.« Bran legte den Umhang um sie. »Wir brauchen unsere Kräfte für morgen.« Er zog eine der Decken aus dem Gepäck und rollte sich am Feuer zusammen. Er kniff die Augen zu, denn er wollte nicht, dass Dielan oder Gwen den Zweifel in seinen Augen sahen. Denn Bran zweifelte jetzt. Die Schmiede hatten gesagt, das Gebirge sei uneinnehmbar. Was, wenn es kein Tal gab? Was, wenn die ganze Reise umsonst gewesen war? Vielleicht waren die Träume wirklich nichts als einfache Träume ohne jeden Sinn gewesen. Bran blinzelte in die Flammen. Lokes faltiges Gesicht starrte ihn von der anderen Seite des Feuers aus an. Der Waldgeist wusste etwas. Doch Bran wagte nicht, ihn danach zu fragen.
Dielan sollte Recht behalten. Am nächsten Tag erreichten sie die Baumgrenze. Noch am Vormittag sahen sie die ersten nackten Felsen und kümmerlich bewachsene Steine hinter den Bäumen, und als sie zwischen den Bäumen hervortraten, kamen sie in eine Landschaft, die so kalt und abweisend war, wie sie es zuvor noch niemals gesehen hatten. Hier gab es keine Täler, keine Höhlen oder Scharten, in denen sie Schutz finden konnten. Die Bergflanke stieg sanft und wellig zu den emporragenden Gipfeln an. Wolken trieben über die schneebedeckten Klippen.
»Wir werden dieses Gebirge das Felsenfjäll nennen.« Turvi streckte seine Arme zu den Gipfeln empor. »Denn wir sind das Felsenvolk und das soll unsere neue Heimat sein.«
Niemand antwortete ihm. Bran hörte sie murmeln und wusste, dass er jetzt nicht rasten durfte. Er ging am Hang entlang weiter, dieses Mal nach Osten. Dort sah es nicht so steil aus. Er bräuchte einen Traum, um sie weiterführen zu können. Den Sturmrand hatte er auch in Traumbildern gesehen, und sie waren durch die blutroten Stürme gesegelt. Er hatte den schwarzen Strand gesehen, und sie waren bei Ber-Mar an Land gegangen. Er hatte das Tal gesehen, doch diese Berge gaben ihm ein so merkwürdiges Gefühl. Als wäre er hier schon einmal gewesen, doch ohne sich erinnern zu können.
Bran neigte vor Schmerzen den Nacken. Das rechte Auge drohte zuzufallen, und jedes Mal, wenn er falsch auf dem glitschigen Felsen auftrat, zitterten die Krämpfe über seine Stirn. Er hoffte, dass die Menschen es nicht bemerkten, denn er vermochte keine weiteren Ratschläge oder Streitereien mehr zu ertragen. Er durfte keinen Zweifel zeigen. Er musste stark sein. Sie hatten ihn zu ihrem Häuptling gewählt, und es war sein Schicksal, sie in das neue Land zu führen. Er konnte nicht einfach davonsegeln, wie Nangor. Er konnte nicht einfach seinen Gefühlen oder seiner Sehnsucht folgen.
Der Abend kam rasch. Der Tag hatte sie ein paar Pfeilschüsse weiter nach oben und eine lange Strecke nach Osten gebracht. Noch immer ragten die Berghänge steil über ihnen auf, und nicht einmal Dielan konnte eine Kluft oder eine Öffnung zu dem dahinterliegenden Land erkennen.
Sie schlugen auf den nackten Felsen ihr Lager auf. Hier gab es kein Holz, und der Wind fegte über die Berggipfel nach unten. Bran bat die Männer, bei den Pferden Wache zu halten, damit diese nicht davonliefen. Den Tieren wurden Felle über die Rücken gelegt und Cergan und Sortsverd streuten den Rest des Getreides vor ihnen aus.
An diesem Abend wurde nur wenig gesprochen. Das Felsenvolk schlotterte unter den Decken und rieb die Hände und Füße der Kinder warm. Sie zitterten und warteten auf den Morgen.
In der ersten Morgendämmerung gingen sie weiter. Die Wolken hingen tief über den schneebedeckten Gipfeln und der Nebel rann wie ein grauer Teppich über die Berghänge nach unten. Die Luft war feucht, und die kleinen Tropfen legten sich wie eine Schicht Eis auf die Haut der Menschen. Der Alte sprach vom Tal der Träume, von Wäldern voller Hirsche und Bären, von lauschigen Wiesen und Bächen, in denen die Forellen auf sie warteten. Bran hörte ihn und wünschte, selbst so zu seinem Volk sprechen zu können. Doch all das, was Turvi erzählte, war so unendlich weit von dieser Landschaft entfernt. Hier gab es keine Bäche, und das karge Land hier oben konnte außer
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