Das Verheissene Land
Seite.
»Bran«, sagte sie. »Ich weiß nicht, was geschehen ist, es war so schlimm. Ich habe Angst…«
Bran legte seine Hand auf ihren Mund. Ihr wurde warm und ihre Augen wurden feucht.
Es raschelte im Laub. Loke kletterte mit einem Holzbecher in der kleinen Faust vom Ufer nach oben.
»Ich habe die Wundgeister aus ihr vertrieben.« Der Waldgeist kletterte auf ein Moospolster und nahm einen Schluck aus dem Becher. »Sie wird überleben, wenn du sie nur warm und trocken hältst. Aber du musst an das denken, was ich dir gestern gesagt habe, Bran.«
Bran verbarg sein Gesicht an ihrem Hals. Tir strich ihm über den Nacken.
»Ich habe die ganze Nacht über sie gewacht.« Das gefrorene Moos knirschte, als Loke vom Polster nach unten sprang. »Volom-Kars Kräuter haben Tir gut getan. Bitterwurzel und die Rinde der Wurzeln der Turmbäume, Kronenblätter der Klumpenblume und Kohle aus den Feuern der Ersten Schneeflocke. Ich habe es mit Fliegenpilzen und Wacholderbeeren gemischt…«
Bran erhob sich. Er hatte keine Zeit, dem Waldgeist zuzuhören. Er erinnerte sich jetzt. Der Traum. Der Wasserfall. Er ging zu Gwen hinüber und nahm Ulv aus ihren Armen. Da erwachte sie, blinzelte und streckte ihren steifen Rücken. Dielan und Konvai tauchten unter der weiß bereiften Decke auf. Vile, Bile und Bul hoben sich kaum vom Boden ab, doch jetzt streckten sie ihre Beine und lugten zwischen Hüten, Schals und Bärten hindurch. Bran trat zu den Pferden, die neben Hagdars Feuerstelle an einen Baum gebunden waren.
Er reichte Ulv an Linvi weiter und hob den Zugschlitten an. Hagdar stand auf und half ihm, ihn zu halten, und Kaer rieb sich den Schlaf aus den Augen und befestigte die Gabelholme am Sattel des gefleckten Hengstes.
Als der Zugschlitten angeschirrt war, führte Bran das Pferd zu Tir. Das Felsenvolk erwachte langsam. Männer standen auf und streckten ihre Beine und die Frauen fütterten die Kinder mit den Resten des Abendessens. Bran hob Tir auf den Schlitten. Er wickelte die Decken gut um sie, ehe er seinen Fellumhang über sie breitete. Danach nahm er Turvi den Pelz von den Schultern und breitete auch diesen über Tir.
»Leg ihn dir über den Kopf.« Er blickte zum Wasserfall. »Wir müssen durch.«
»Durch den Wasserfall?« Tir versuchte sich auf den Ellenbogen aufzurichten, fiel aber wieder zurück. »Aber warum…«
»Kein Zweifel.« Bran legte seine Hand auf ihre Wange. »Kein Zweifel.«
Die meisten der Männer hatten jetzt ihre Bögen ergriffen und die Decken und Pelze zusammengerollt. Sie sahen ihn an und wussten, dass er ihnen keine Ruhe lassen würde. Hagdar führte die gelbe Stute heran. Bran ging zurück zu Linvi und nahm Ulv auf den Arm. Dann drehte er sich dem Wasserfall zu.
»Ihr seid mir über das Meer gefolgt!« Er rief, so laut er konnte, vermochte den Wasserfall aber kaum zu übertönen. »Ihr habt am Sturmrand großen Mut bewiesen! Wir sind nach meinen Träumen gesegelt und haben ein neues Meer gefunden. Und jetzt haben mir die Träume erneut einen Weg gewiesen!«
Bran ergriff die Zügel und führte den Hengst zum Ufer. Hagdar und Dielan folgten ihm und er hörte Turvis Krücken auf dem felsigen Boden. Jemand zögerte. Jemand zweifelte noch immer. Doch jetzt durfte er keine Unsicherheit zeigen. Er musste auf das vertrauen, was ihm der Traum gezeigt hatte, er musste daran glauben, dass sich hinter dem Wasserfall mehr als nur ein glitschiger Berghang befand. Denn das war die letzte Hoffnung, die er hatte.
Er rutschte auf einem Stein aus und landete mit der Hüfte in dem nassen Moos. Das Pferd wieherte, doch er zog es an den Zügeln weiter. Er trat in einen Nebel aus Wassertropfen. Jetzt hörte er einzig den Wasserfall. Das Pferd wehrte sich. Er packte das Zaumzeug und zerrte es hinter sich her. Dann beugte er den Rücken und trat unter das tosende Wasser. Es zwang ihn in die Knie, doch er ließ das Zaumzeug des Pferdes nicht los. Er drückte seinen Sohn an sich und schützte ihn mit seinem eigenen Körper. Dann nahm er all seine Kraft zusammen und erhob sich wieder. Die Wassermassen trommelten auf seinen Kopf, doch er stapfte noch einen Schritt weiter nach vorn. Er beugte seinen Nacken und streckte seine Arme zur anderen Seite aus. Dann zog er das Pferd hinter sich her und war drinnen.
Nur Dielan, Hagdar und Virga wagten es, Bran durch den Wasserfall zu folgen, doch als sie erkannten, dass sich auf der anderen Seite der Anfang einer Höhle zeigte, kämpften sie sich wieder zurück und hielten
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