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Das Verheissene Land

Titel: Das Verheissene Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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Holz der Reling über ihnen war voller Kerben und Schnitte und an ein paar Stellen waren die Pfeilspitzen derart tief eingedrungen, dass die Tirganer sie sitzen gelassen hatten. Hagdar fuhr mit dem Finger über eine von ihnen, fasste sich an die Schulter und ging weiter.
    Bran wusste, an was er dachte. Hagdars Gedanken waren auf einem Schlachtfeld in Aard, bei den sterbenden Aardmännern und bei der Furcht, die er verspürt hatte, als er zum ersten Mal in den Kampf gezogen war. Bran erinnerte sich, wie Hagdars Arme gezittert hatten, als Vare die Pfeile herausschnitt. Die Tirganer hatten die Köpfe der Feinde auf Pfähle gesteckt und ihm gezeigt, was Krieg bedeutete. Und der Krieg hatte ihn die Grausamkeit gelehrt. Er hatte ihn gelehrt zu töten und ihn zu jemand anderem werden lassen. Er war nicht mehr der Mann, der er gewesen war, als er sein Volk verließ, um für Ar zu kämpfen.
    »Du darfst nicht daran denken.« Hagdar nahm seinen Arm und starrte ihn unter seinen schwarzen Augenbrauen hinweg an. »Habe ich dir nicht gesagt, dass es vorbei ist? Haben wir dir das nicht alle gesagt? Zeig mir jetzt dein Schiff.«
    Bran blickte auf. Sie waren am Ende des Langschiffkais angekommen. Der lang gestreckte Rumpf der Tigam ruhte an den Steinblöcken und die Bronzeschilde an der Reling glühten im Flammenschein der Kohlelampen. Der Mast reckte sich über den Hafen und der Querbaum hing wie ein Speer Gottes hoch dort oben.
    »Hier? Ist es das?« Hagdar spähte am Kai entlang. »Oder sind wir schon daran vorbeigegangen? Ich glaube, das hier ist das größte Schiff. Ist das nicht Vares Schiff?«
    »Es ist nicht Vares Schiff.« Bran stieg auf den Landgang. »Das ist die Tigam, Blutskalles altes Kriegsschiff.«
    »Bei allen Göttern!« Hagdar rieb sich die Augen und schüttelte den Kopf. »Dieses Schiff? Das ist ja noch größer als das von Visikal!«
    »Nur ein paar Körperlängen.« Bran sprang an Deck.
    Hagdar zog den Pelzkragen am Hals zusammen und kletterte auf den Landgang. Bran reichte ihm die Hand.
    »Ich bin doch kein Greis.« Hagdar wedelte ihn weg und sprang müde wie ein Bär nach dem Winterschlaf auf das Deck. Seine Knie gaben nach, als er auf dem Deck landete, doch er rappelte sich schnell wieder auf und begann zwischen Stagen und Tauenden herumzuschlendern.
    Bran lehnte sich an die Reling und sah zu, wie Hagdar an den neuen Eisenbolzen am Mast zog und die frisch geölten Taue beschnupperte. Er befühlte die Taljen und die frisch geschmiedeten Kreuzhalterungen und arbeitete sich langsam zum Steuer vor.
    »Ich könnte mich daran gewöhnen, hier zu stehen«, sagte lachend und lehnte sich, das Steuer in den Händen, an den Achtersteven.
    »Es ist schwerer als auf Visikals Schiff.« Bran ging zur anderen Reling hinüber, während Hagdar das Steuerruder hin und her bewegte. Dort stützte er seine Unterarme auf den Bronzeschilden auf und ließ den Blick über die schwarzen Wellen draußen vor der Mole gleiten. Der Wind riss die Spitzen der Wellen ab und zeichnete Schaumstreifen auf das Meer.
    Eine Weile stand Bran allein da, denn nach einem ganzen Winter im Krankenbett gefiel es Hagdar, wieder das Ruder eines Schiffes in den Händen zu spüren. Bran rieb sich den Nacken und drehte den Kopf hin und her. Diese unablässigen Schmerzen hinter der Stirn reichten ihm. Die Klauen kamen mit den schwierigen Gedanken, und die Reise quälte ihn jetzt. Er hatte ihr versprochen, nicht vor der Geburt aufzubrechen, doch Turvi, Dielan und die anderen wollten nicht so lange warten.
    »Du solltest dir nicht so viele Gedanken machen.« Hagdar ließ das Steuer los und kam zu ihm herunter.
    »Du hast sie gehört.« Bran schloss den Umhang vor seiner nackten Brust. »Wir reden nicht mehr wie ein Volk. Turvi hatte Recht, als er sagte, wir seien ein gespaltenes Volk. Deshalb müssen wir fort von hier.«
    »Du hast gut gesprochen heute, wie ein Häuptling.« Hagdar ballte die Fäuste. »Und so müssen sie dich hören, Bran. Du musst Stärke zeigen. Dann werden sie dir immer folgen.«
    Eine Windböe fegte über die Mole und pfiff in den Stagen. Der Querbaum bewegte sich sachte am Mast. Die zwei Männer schnupperten in den Wind, das hatten sie sich im Gebirge im Norden angewöhnt. Lange standen sie so da, und als sich der Wind wieder legte, wandte sich Bran in Richtung Stadt. Die Händler lernten es nie richtig, ihre Buden abzuspannen, und manchmal wehten die Böen die Tische und Segeltuchdächer bis in die große Straße hinauf. In dieser Nacht

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