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Das verlassene Boot am Strand

Das verlassene Boot am Strand

Titel: Das verlassene Boot am Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott O'Dell
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hatte.
    Mando schlief immer noch, als wir an Santa Cruz vorbeifuhren. Der halbe Vormittag war um. Ich gab ihm einen Schubs gegen das Schienbein, er wachte auf und schaute sich um, als ob er keine Ahnung habe, wo er war, an Land oder auf See. Aber er begriff mit einem Blick, daß der große Fisch verschwunden war.
    Er sprang auf. »Was ist passiert? Quépasa? Mein pezespada! Wo ist er?«
    Die durchgeschnittene Leine lag neben seinem Messer zu seinen Füßen auf dem Boden des Bootes. Mando warf einen Blick darauf und sah mich an.
    »Er ist fort«, sagte ich. »Er ist fort, während du geschlafen hast.«
    Mando hob die Leine auf und betrachtete sie. »Die Leine ist nicht gerissen, sie ist durchgeschnitten worden.« Er hob sein Messer auf. »Mit einem scharfen Messer, so wie diesem. Ich wußte nicht, daß der Fisch ein Messer hatte.«
    »Er hatte kein Messer. Nur Menschen haben Messer«, sagte ich. »Wann haben wir ihn gefangen?«
    »Gestern morgen.«
    »Dann hat er den ganzen Tag an der Leine gehangen«, sagte ich. »Würde es dir gefallen, einen ganzen Tag an einer Angelleine an einem Boot zu hängen... mit einem eisernen Haken im Maul? Würde dir das gefallen, du großer Fischer? Vielleicht würde dich schon ein halber Tag fertigmachen? Oder schon eine Stunde?«
    »Ich bin kein Fisch.«
    »Aber wenn du einer wärst, möchtest du dann einen eisernen Haken im Maul stecken haben?«
    »Du redest Unsinn«, sagte Mando. »Menschen sind anders als Fische.«
    »Aber auch Fische bluten. Und dieser blutete einen Tag und eine Nacht und noch einmal einen Morgen aus dem Maul. Wie würde dir das Blut schmecken?«
    Mando schob das Messer in die Scheide und streckte sich wieder zum Schlafen aus. »Das nächste Mal fahr' ich mit richtigen Fischern aufs Meer hinaus«, sagte er wütend.
    »Ich habe jedenfalls begriffen, daß du ein kläglicher Seemann bist«, antwortete ich. »Und wenn ich noch einmal irgendwohin fahre, tue ich es allein.«
    »Ich bin aber noch da«, sagte Mando und schaute mich aus halb geschlossenen Augen an. »Wir haben über einen Tag verloren, aber das Wetter ist gut. Wir haben genug Proviant. Wir sollten zu Ende führen, was wir angefangen haben.«
    Ich nickte, aber ich fürchtete mich vor den Winden und den wilden Wellen, die ich gesehen hatte. Ich fürchtete mich am ganzen Körper... im Magen und im Kopf.
     

7
     
    Wir befanden uns nun nahe der Südspitze von Santa Cruz, nicht weit von der Stelle, von der wir aufgebrochen waren. Es wurde bald Abend, und ich hielt es für besser, hier den Morgen abzuwarten und in aller Frühe, ehe Wind aufsprang, weiterzurudern.
    Vor uns tauchte ein kleiner Landvorsprung auf. Ich hatte gestern nachmittag bemerkt, daß dahinter eine vor Wind und Wellen geschützte Bucht lag, in der man gut vor Anker gehen konnte.
    »Nimm ein Ruder«, sagte ich zu Mando.
    »Ich dachte, ich bin der Kapitän«, antwortete er.
    Ich drückte ihm ein Ruder in die Hand, und wir ruderten auf die Bucht zu. Als wir um die Landzunge herum kamen, sahen wir plötzlich ziemlich dicht vor uns ein großes Walfangschiff vor Anker liegen. Auf beiden Seiten des Schiffes schwamm je ein toter Wal. Auf Deck brannten Feuer unter großen Kesseln und eine ölige Rauchwolke trieb auf uns zu.
    Der Rauch war so dick, daß man kaum etwas sehen konnte. Erst nach einer Weile entzifferte ich den Namen, der in goldenen Buchstaben auf dem Schiffsbug stand: Boston Boy. Wir waren jetzt in Rufweite des Walfängers.
    Leise sagte ich zu Mando: »Das ist das Schiff, das beim Sturm dieses Boot verloren hat. Tu jetzt, was ich dir sage und sprich kein Wort. Wir müssen wenden und wieder hinter der Landzunge verschwinden. Wenn Gott mit uns ist, erkennen sie das Boot nicht wieder.«
    »Ich werde mit Mukat sprechen«, flüsterte mein Bruder und begann vor sich hinzumurmeln.
    »Greif an dein Ruder und sei still. Schau nicht zum Schiff hinüber.«
    »Unser Boot hat eine andere Farbe und einen neuen Namen«, sagte Mando. »Sie werden es nicht wiedererkennen.«
    »Aber wenn sie es erkennen, geht es uns schlecht«, antwortete ich. »Da wir jetzt gewendet haben, kann ich allein rudern. Wirf du deine Angelleinen aus. Vielleicht halten sie uns für Fischer.«
    Der Rauch wurde dünner, und wir waren nur mehr eine halbe Meile von der Landzunge entfernt. In ihrem Schutz würde man uns vom Schiff aus nicht mehr sehen können. Ich ruderte schneller, bis ich dachte, meine Lungen würden platzen. Das Boot war schwer und nicht für nur zwei Ruderer

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