Das verlassene Boot am Strand
Wein aus einer Bauchflasche, bevor er etwas torkelnd an Deck ging. Ich wischte den Tisch ab und wollte gerade anfangen, das Geschirr abzuwaschen, als ich plötzlich einen Schrei hörte. Dann Laufschritte und Rufe.
Der junge Maat mit dem Ohrring hatte einen seltsamen Unfall erlitten. Ich weiß nicht, ob der Wein, den er zu Mittag getrunken hatte, die Ursache war.
Ich hatte früher noch nie einen Pottwal gesehen. Die Wale, die vor unserer Küste leben, sind anders. Sie schauen eher wie Fische aus. Der Pottwal hat einen Bug als Nase. Er sieht aus wie ein großer Felsen, der kerzengerade aus dem Meer ragt. Er macht ein Viertel des ganzen Tieres aus. Das hatte mir der Koch gleich am ersten Tag beim Kartoffelschälen erklärt.
Als Mando und ich über die Strickleiter an Bord geklettert waren, sahen wir über uns zwei riesige, furchterregende Köpfe, die mit eisernen Haken und Stricken an der Reling vertäut waren. Ich spürte Angst vor diesen weit aufgerissenen Schlünden mit den riesigen Zähnen.
»Reines Elfenbein, und sehr wertvoll«, sagte der Koch. »Aber der wahre Schatz steckt im Schädel. Der ist voll Walrat. Genug, um fünf Fässer zu füllen. Das gibt das allerbeste Parfum, kleines Fräulein, dieses süß riechende Walöl.
Als ich nun die Schreie hörte, rannte ich aus der Kombüse, und der Koch folgte mir. Die Männer drängten sich mit Messern und Spaten um einen der aufgehängten Pottwalschädel. Sie redeten durcheinander.
Mando packte mich beim Arm. »Es ist der Maat. Der mit dem goldenen Ohrring«, sagte er. »Er ist hineingefallen und wird ertrinken.«
Der Maat hatte darauf bestanden, den Schädel selbst zu öffnen. Diese Arbeit konnte niemand so gut wie er erledigen. Man mußte genau an der richtigen Stelle in den Kopf schneiden und dann die kostbare Flüssigkeit herausschöpfen.
Ein eiserner Eimer wurde über ein dutzendmal in den Schädel hinuntergelassen und wie aus einem Brunnen voll wieder herauf gezogen. Und dann passierte es; der Maat rutschte aus und fiel in den Pottwalkopf hinein, er war wie eine tiefe Höhle.
Seine Schreie wurden immer lauter und lauter, während die Männer überlegten, wie sie ihm helfen konnten. Zuerst wurde der Eimer von der Stange genommen und die Stange in den Schädel hinunter geschoben. Aber der Maat griff nicht danach.
Seine Rufe wurden schwächer. Dann hackte jemand mit einer Axt die Unterseite des Schädels auf. Das kostbare Walrat begann zu fließen, und der Maat wurde mit herausgespült. Er fiel ins Wasser, trieb mit dem Gesicht nach unten und versank, ehe sie ihn herausziehen konnten. Ein paar Ölblasen zeigten an, wo er untergegangen war. Seine Mütze tauchte noch auf, und dann war nichts mehr auf dem Wasser zu sehen.
Alle Beiboote wurden ausgesetzt, auch unseres, und die Walfänger ruderten im Kreis an der Stelle, an der der Maat verschwunden war. Aber außer der Mütze, die von dem kostbaren Öl glänzte, das auf dem Wasser schwamm, brachten sie nichts an Bord.
9
Die Mannschaft verbrachte den Rest des Nachmittages damit, nach seiner Leiche zu suchen. Sie ruderten in immer weiter gezogenen Kreisen um das Schiff herum. Alle fünf Beiboote, welche dieBoston Boy besaß, einschließlich unserem, waren im Einsatz.
Sie suchten bis zum Abend, und erst der Hunger trieb sie zurück an Bord. Ich half dem Koch in der Kombüse; er war der einzige, bis auf meinen Bruder und den Kapitän, der sich nicht an der Suche beteiligte. Der Kapitän kam im Laufe des Nachmittages ein paar Mal auf Deck, sah durch sein Fernrohr auf die Boote und verschwand wieder in seiner Kajüte.
Ich mußte wieder Kartoffeln schälen und Pökelfleisch schneiden, und dabei konnte ich mit Mando sprechen. Bereits nach drei Tagen hatte ihn der Kapitän zum Kajütenboy ernannt. Ich vermute, daß er Mando bei der Arbeit an Deck beobachtet hatte und zufrieden mit ihm war.
Jedenfalls wurde Mando vom Kapitän mit einem weißen Pullover und weißen Hosen ausstaffiert — es waren übrigens die ersten Hosen, die Mando jemals besessen hatte - und hielt ihn mit Botengängen beschäftigt. An diesem Nachmittag schickte er Mando in die Kombüse um Tee.
Der Koch goß den Tee auf, und ich folgte meinem Bruder an Deck. Er hatte es eilig, aber wir konnten doch schnell ein paar Worte wechseln.
»Ich hab' ein Gespräch zwischen dem Kapitän und dem zweiten Maat, der jetzt der erste Maat ist, mitgehört«, berichtete Mando. »Alle Fässer sind mit Öl gefüllt, und er will morgen aufbrechen. Er hat
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