Das verlassene Boot am Strand
bringst. In einer knappen Stunde werden sie merken, daß wir weg sind.«
Ich schaute wieder zur Küste hinüber. Sie war zu weit entfernt, um die Sanddünen und die Brecher zu erkennen. Und zwischen uns und dem Schiff lag die Insel.
Mein Blick fiel auf das Steuerruder und ich bemerkte, daß es aus drei ruderähnlichen Brettern gefertigt war. Jedes der Bretter war länger als mein Arm. Sie waren mit schmalen Eisenbändern am Boot befestigt. Ich bohrte mit der Messerspitze in das Holz und sah, daß man die Schrauben herausschnitzen konnte.
Als die Sonne aufging, hatten wir das Steuerruder abmontiert. Die drei Bretter waren mit Holzbolzen zusammengefügt. Wir brachen sie auseinander und hatten nun zwei Paddel.
»Vámonos!« sagte ich. »Der Wind ist mit uns, und die Flut wird es auch bald sein. «
Mando schaute über die Schulter zurück in Richtung des Schiffes. Langsam senkte er das Paddel ins Wasser, und wir nahmen Kurs auf die ferne Küste.
Als die Sonne voll am Himmel stand, waren wir schon an der Insel vorbei, und wir konnten die drei Masten des Walfängers am Horizont sehen. Unsere Behelfspaddel waren mit richtigen Rudern nicht zu vergleichen, aber wir kamen trotzdem voran. Die Flut hatte eingesetzt, und wir hatten Rückenwind. Bald konnten wir den Turm der Mission Ventura erkennen.
Mando war hin und her gerissen. Er schaute immer wieder über die Schulter zurück, bis die Mastspitzen nicht mehr zu sehen waren. Er seufzte.
»Es tut dir leid, daß sie uns nicht wieder aufs Schiff geholt haben«, sagte ich.
»In der Mission ereignet sich nie was«, antwortete Mando. »Man arbeitet auf dem Feld, säubert die Wassergräben vom Unkraut und fegt den Hof.«
»Auf der Boston Boy würdest du dem Kapitän den Tee servieren. Das ist alles«, entgegnete ich. »Und das ist auch nicht so aufregend. Wenn du wirklich Seemann werden willst, hilft dir Pater Vinzenz sicher, Arbeit auf einem Schiff zu finden. Dort bist du dann ein wirklicher Seemann und kein Sklave.«
Ich war noch nie zuvor mit einem Boot an dieser Küste gewesen. Ich sah eine Landzunge mit einer felsigen Spitze. Zwischen dieser Spitze und der Küste lag eine Bucht. In dieser Bucht war das Wasser glatt, und die Brecher am Eingang schienen niedriger zu sein als weiter südlich. Auf diese Landzunge nahmen wir Kurs.
Wir näherten uns der Brandung und versuchten, so gut wir konnten, das Boot ruhig zu halten, um uns von einer kleineren Welle in die Bucht tragen zu lassen. Aber wir gerieten in eine schnelle Strömung, die uns direkt auf die Felsspitze zu trieb.
»Wir müssen vom Land weg«, rief ich meinem Bruder zu. »Vielleicht kommen wir dann wieder aus der Strömung
heraus.«
Wir paddelten beide mit aller Kraft, um das Boot aus der Brandung zu steuern und hofften, daß uns die Strömung wieder frei ließ.
Aber die Wassermassen hielten das Boot fest und trugen uns am Eingang der Bucht vorbei auf die Felsspitze zu.
»Achtung, wir müssen gleich springen«, sagte ich.
Wir waren beide gute Schwimmer, und wir sprangen in dem Augenblick, in dem der Bug den Felsen rammte und das Boot kenterte. Eine Weile mußten wir gegen die Flut ankämpfen, die uns zwischen die Klippen schwemmte. Die Felsen waren zu glatt, um sich daran festzuhalten, und die scharfen Ränder der Entenmuscheln zerschnitten mir die Hände. Endlich entkamen wir der Strömung, und wir schwammen zum nahen Strand hinüber.
Dutzende von Indianern erwarteten uns, als wir an Land taumelten. Wir waren zerkratzt und zerschunden, aber wir lebten. Es war traurig, mitanzusehen, wie die Island Girl von den Wellen hin und her geschleudert und allmählich auf uns zugetrieben wurde.
Die Indianer gaben uns trockene Kleidung und Muschelsuppe und Dörrfleisch. Wir waren erschöpft und schliefen den ganzen Nachmittag und die folgende Nacht. Am nächsten Morgen kam Kapitän Nidever angeritten.
»Wenn von der Island Girl noch etwas übrig ist, so können Sie es haben«, sagte ich zu ihm.
Die Trümmer des Bootes waren an den Strand gespült worden.
»Es ist gutes Holz, das ich gebrauchen kann«, antwortete er.
Ich übergab ihm den Kompaß, den ich in ein Stück Ölhaut eingewickelt an einem Riemen um den Hals getragen hatte.
Kapitän Nidever wickelte ihn aus.
»So gut wie neu. Ich hätte nicht gedacht, daß ich ihn zurückbekomme. Ich werd' ihn mitnehmen, wenn ich zur Insel der blauen Delphine segle«, sagte er.
»Wann?« fragte ich.
»Bald.«
»Wann?« wiederholte ich.
»Vielleicht in drei Monaten.
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