Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das verlassene Boot am Strand

Das verlassene Boot am Strand

Titel: Das verlassene Boot am Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott O'Dell
Vom Netzwerk:
Schiff zu bleiben. Aber ich wußte, daß ich irgendwie auf das Festland gelangen würde.
     

10
     
    Beim sechsten Schlag der Schiffsglocke nahm ich meinen Beutel, steckte zu dem Proviant und dem Messer noch eine Flasche mit Wasser und ging zur Kombüsentür.
    Während der Wartezeit hatte ich bemerkt, daß die Wache sich auf der anderen Seite des Decks aufhielt. Der Mann ging vom Heck zum Bug, hielt dort ein paar Minuten an und bewegte sich langsam wieder zurück. Er kam nie auf die linke Seite des Decks herüber, weil dort Ölfässer gestapelt waren.
    Einer seiner Stiefel quietschte, und ich konnte jeden seiner Schritte hören. Er war nun im Heck. Ich spähte zur Tür hinaus und sah den Wachposten neben dem Steuerrad stehen und über das Meer schauen. Die Strickleiter hing in seiner Nähe.
    Ich hielt mich im Schatten, bis ich seinen quietschenden Stiefel an der Kombüse Vorbeigehen hörte. Dann glitt ich hinaus und rannte auf nackten Füßen lautlos über das Deck bis zur Kapitänskajüte, wo ich Mando treffen wollte. Er war nicht da. Ich hörte den Stiefel knarren. Der Wachtposten erreichte den Bug. Er würde nun eine Weile dort stehenbleiben und dann kehrtmachen.
    Ich beschloß, alleine zu fliehen, wenn Mando nicht in den nächsten Sekunden erschien. Im Schein der Mondsichel konnte ich die beiden Eisenhaken sehen, mit denen die Strickleiter an der Reling befestigt war. Ich lief hinüber, kletterte über die Reling und mein Fuß fand die erste Sprosse.
    Das Meer war dunkel. Die Beiboote lagen am Fuß der Strickleiter an einem langen Balken vertäut. Im Hinunterklettern hörte ich einen Laut, und als ich auf der letzten Sprosse ankam, sah ich in einem Boot eine kauernde Gestalt. Es war Mando. Sein Messer glänzte. Mando war dabei, die Vertäuung des ersten Bootes durchzuschneiden. Es war das Boot des Kapitäns.
    »Nimm unseres«, flüsterte ich ihm zu.
    »Dieses liegt günstiger«, flüsterte er zurück.
    Über mir hörte ich den Schritt der Wache, die vom Bug zurückkam. Ich sprang zu Mando in das Boot. »Duck' dich und rühr' dich nicht!«
    Der Wachtposten ging oben an uns vorbei zum Heck. Dann kam er langsam wieder zurück und blieb an der Strickleiter stehen. Ich hielt mich an Mando fest, und wir machten keine Bewegung, bis er endlich weiterging. Dann sägte Mando wieder an dem Schiffstau.
    »Das Tau hat einen Knoten. Hast du versucht, ihn zu lösen?« fragte ich.
    »Ja, aber es ist ein Seemannsknoten, und ich krieg' ihn nicht auf.«
    »Komm, wir nehmen unser Boot«, wisperte ich.
    »Es ist doch egal, welches wir nehmen«, meinte Mando.
    »Es gehört uns«, beharrte ich und stieg aus dem Kapitänsboot in das nächste hinüber.
    Mando folgte mir. »Ein Boot ist ein Boot«, sagte er.
    »Di e Island Girl ist kleiner und leichter zu rudern«, antwortete ich, um die Debatte zu beenden.
    Wir hatten unser Boot erreicht, als die Schritte des Wachtpostens wieder über uns knarrten. Wir duckten uns, bis er vorbei war. Dann schnitten wir mit vereinten Kräften das Tau durch.
    Ich ließ mich leise ins Wasser, schwamm nur mit den Beinen und schob das Boot auf die andere Seite des Schiffes, wo der Wachtposten nicht vorbeikam.
    Die gräßlichen Walschädel hingen über uns. Wir schoben uns an zwei Kadavern vorbei, von denen die Fettschwarten bereits abgelöst waren. Mando hielt sich an den Knochen fest, zog sich daran weiter und half mir so, das Boot vorwärts zu bewegen. Ich flüsterte ihm zu, das Boot abzustoßen. Wir entfernten uns langsam von den Walkadavern und glitten mit der Strömung auf die Insel zu.
    Als das erste Tageslicht im Osten dämmerte, erreichten wir die Seetangwiese, welche die Insel umgab. Der Seetang wuchs so dicht, daß wir das Boot nicht hindurchschieben konnten. Wir kletterten ins Boot, lagen da, ruhten uns aus und versuchten, uns zu erwärmen. Die Küste war weit weg und nur schwach zu erkennen.
    »Die Gezeiten sind noch gegen uns«, sagte ich. »Wir ruhen uns jetzt ein bißchen aus, aber dann müssen wir weiter. Sie werden uns suchen, und als erstes werden sie hierher kommen.«
    »Das Frühstück ist erst in einer Stunde«, sagte Mando. »Sie kommen vorher nicht an Deck. In frühestens zwei Stunden werden sie merken, daß ein Boot fehlt.«
    Ich fragte mich, ob Mando insgeheim hoffte, wieder aufs Schiff gebracht zu werden.
    »Der Koch wird mich vermissen, sobald er in die Kombüse kommt«, sagte ich. »Und dem Kapitän wird es auffallen, wenn du ihm seinen Morgentee nicht auf dem silbernen Tablett

Weitere Kostenlose Bücher