Das verlassene Boot am Strand
sein könnte, wenn ich mitkomme?«
»Können Sie Ottern fangen?« fragte Kapitän Nidever zurück.
»Ich bin kein Jäger«, antwortete Pater Vinzenz. »Aberich kann rudern. Ich bin den großen Fluß in Panama mit einem Kanu hinuntergefahren.«
»Das Meer ist kein Fluß.«
»Beide haben ihre Tücken«, sagte Pater Vinzenz. »Sind Sie schon einmal einen Strom hinuntergefahren, der voller Krokodile ist? Wohin man auch blickt, überall Augen im Wasser, die einen beobachten. Sie tanzen wie Korken auf den Wellen auf und ab und starren Sie an.«
»Nein, ich war noch nie auf einem solchen Fluß, und ich habe auch keinerlei diesbezügliche Absichten«, sagte der Kapitän. »Aber wenn Sie mit uns kommen, wird es leichter sein, das Mädchen zu finden. Dafür wahrscheinlich aber
weniger Ottern. Wollen Sie wirklich mitkommen? Ich kann Ihnen nichts versprechen außer einer unbequemen Seereise. Vielleicht ist das Mädchen gar nicht auf der Insel. Vielleicht stammen die Spuren von jemand anderem. Curt und ich haben keine Zeit, auf den Klippen und den Hügeln herumzusteigen, um ein Mädchen zu suchen. Wir segeln zur Insel, um Ottern zu fangen. Aber wenn Sie mitkommen und sie suchen wollen, so soll es mir recht sein.«
»Ich komme mit. Sofort oder morgen oder wann immer Sie aufbrechen«, sagte Pater Vinzenz.
Ich liebte Pater Vinzenz, seit ich in die Mission gekommen war, aber jetzt liebte ich ihn noch mehr. Er war ein kleiner, magerer junger Mann, blaß und nicht sehr kräftig. Warum sollte er eine anstrengende Fahrt durch rauhe See und gefährliche Winde zu einer felsigen Insel auf sich nehmen, um ein Mädchen zu suchen, das er noch nie gesehen hatte? Warum sollte er nach jemandem suchen, der vielleicht gar nicht mehr lebte oder nicht mehr auf der Insel war?
Ich fragte: »Pater Vinzenz, warum riskieren Sie Ihr Leben für ein Mädchen, das Sie noch nie gesehen haben?«
Er wurde verlegen. »Es ist gar kein großes Risiko. Kapitän Nidever ist ein hervorragender Seemann, und er war schon auf der Insel.«
»Und wenn er sie diesmal nicht finden kann? Und wenn er vorbeisegelt und am Ende des Ozeans abstürzt?«
»Der Ozean endet nicht, er geht immer weiter und weiter, also können wir nicht abstürzen. « Pater Vinzenz wollte nicht darüber sprechen, warum er sein Leben wagte. Er sagte nur: »Deine Tante muß sehr einsam sein, nach all diesen Jahren allein auf einer Insel.«
»Ja«, sagte ich. »Ich möchte nicht so alleine leben.«
»Ohne Gott«, fügte Pater Vinzenz hinzu.
Ich schwieg. Jetzt wußte ich, warum er die Reise wagte. Kapitän Nidever sah Pater Vinzenz aufmerksam und lange an, als ob er ein Stück Holz für sein Boot abschätzen würde.
»Wir segeln zur Insel, um Ottern zu jagen«, wiederholte er. »Wir brauchen Platz für die Pelze. Aber Sie brauchen nicht viel Platz, vielleicht soviel wie drei ausgewachsene Ottern. Es ist gut, wir können Sie mitnehmen.« Er wandte sich an seinen Freund Curt, der mit einem Eimer voll Teer gekommen war. »Oder was meinst du?«
»Er kann ja an meiner Stelle mit«, antwortete Curt.
Ich nehme an, daß das ein Scherz sein sollte, denn Kapitän Nidever lachte.
»Wenn das Wetter anhält, segeln wir nächste Woche.«
»Ich bin bereit. Geben Sie mir einen Tag vorher Bescheid«, sagte Pater Vinzenz.
»Ich möchte auch mitkommen. Sie haben gesagt, Sie würden es sich noch überlegen«, sagte ich zu Kapitän Nidever.
»Ich habe darüber nachgedacht. Sogar mehrmals«, antwortete er.
Ich merkte an seiner Stimme, daß er eine Entscheidung getroffen hatte.
»Du könntest kochen und beim Rudern helfen, wenn es sein muß. Aber wir haben einfach nicht genug Platz in diesem kleinen Boot.«
Ich schwieg. Ich wußte, daß er nie ernsthaft daran gedacht hatte, mich mitzunehmen. Aber ich war glücklich, weil endlich überhaupt irgend jemand zur Insel segelte. Es war nicht so wichtig, ob ich mitfuhr oder nicht.
13
Am Freitag der nächsten Woche kam Kapitän Nidever in die Mission und sagte zu Pater Vinzenz, daß sie am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang aufbrechen wollten.
»Eine kleine Flasche Trinkwasser ist ungefähr alles, was Sie unterwegs brauchen werden«, sagte der Kapitän. »Vielleicht noch ein paar Streifen Dörrfleisch. Und einen warmen Umhang mit einer Kapuze. Es schadet auch nichts, wenn Sie ein Jagdmesser mitbringen.«
Alle halfen Pater Vinzenz bei den Reisevorbereitungen. Sogar Señora Gallegos, die die Küche und den Schlafsaal unter sich hatte und sonst nicht gerne
Weitere Kostenlose Bücher