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Das verlassene Boot am Strand

Das verlassene Boot am Strand

Titel: Das verlassene Boot am Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott O'Dell
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unglücklich und hinderte mich am Einschlafen.

14
     
    Alle meinten, wir würden einen schönen Frühling bekommen, und deshalb beschloß Gito Cruz, Frühmelonen auszusäen. Die Mission besaß etwa eine halbe Meile nach Osten zu ein kleines Tal mit fruchtbarem Boden, das windgeschützt zwischen den Hügeln lag.
    In dieses Tal gingen wir am nächsten Tag gleich nach dem Frühstück. Für gewöhnlich arbeiteten nur die Männer auf dem Feld, aber in diesem Jahr mußten auch die Mädchen helfen. Seit immer mehr Gringos ins Land kamen, brachten sie viele Krankheiten mit, die wir früher nicht gekannt hatten. In diesem Jahr litten viele Indianer in der Mission an einer Krankheit, die die Patres Masern nannten. Also mußten die Mädchen mit auf das Feld.
    Das Tal war sehr fruchtbar, wie ich schon erwähnt habe, und weil es so windgeschützt lag, war es heiß; das ist zwar gut für die Melonen, aber nicht für den, der hier arbeiten muß.
    Der mayordomo spannte eine lange Schnur über den Boden und ein paar Ochsen mußten den Pflug genau entlang dieser Schnur ziehen. So wurde jede Furche ganz gerade. Gito Cruz war in vielen Dingen ein sehr geschickter junger Mann, und er zog die besten Melonen von allen Missionen in der Umgebung.
    Rosa und ich arbeiteten nebeneinander; wir scharrten kleine Löcher in die Erde, legten ein paar Samen hinein und deckten sie zu. Zu der Zeit, wenn die Melonen gesät werden mußten, war Mando immer beim Fischen. An diesem Tag fischte er mit ein paar Gringos südlich von Santa Barbara vor der Küste. Mando mochte jeden, der fischte, egal, ob Gringo oder nicht.
    Wir arbeiteten sehr genau, denn wenn der Samen nicht richtig in den Boden gedrückt wurde, ging er nicht auf. Etwa drei Wochen nach dem Aussäen ging Gito Cruz über das Feld, und wenn er kahle Stellen fand, wurde er sehr böse, und wir mußten noch einmal aussäen.
    Nun kam er zu Rosa und mir. Es war eine Schwerarbeit, sich in der heißen Sonne immerzu zu bücken. Gito hatte einen Krug voll kühlem Wasser in der Hand und bot ihn uns an. Als wir getrunken hatten, sagte er wie beiläufig: »Es ist ein heißer Tag!«
    »Ja, es ist heiß«, sagte ich.
    »Aber die Sonne ist gut für die Samen, nicht?«
    »Richtig«, sagte ich.
    Gito nahm einen Schluck aus dem Krug und wischte sich den Mund mit dem Zipfel seines Halstuches ab. Gito war immer sorgfältig gekleidet. Er trug auch bei der Arbeit immer ein sauberes Hemd und ein Halstuch und Stiefel mit Zierstichen auf dem Schaft.
    »Die Sonne ist gut für die Melonen, aber nicht für die, die sie aussäen müssen«, sagte Gito.
    Weder Rosa noch ich sagten etwas.
    »Das ist eine schwere Arbeit für Mädchen. Viel schwerer als die Arbeit am Webstuhl. Findet ihr das nicht auch?«
    »Doch«, antwortete Rosa.
    »Mir gefällt es nicht, wenn Mädchen auf dem Feld arbeiten müssen«, fuhr Gito fort.
    Ich wußte, worauf er hinaus wollte, aber ich ließ mir nichts anmerken.
    Gito Cruz war vor zwei Jahren in die Mission gekommen. Sein Vater war Häuptling eines kleinen Stammes, der etwa dreißig Meilen nördlich von Santa Barbara lebte. Man hatte mir erzählt, daß Gito am Anfang alles kritisiert hatte, daher ernannten ihn die Patres kurzerhand zum mayordomo. Gito fand, die Rolle des Aufsehers passe zum Sohn eines Häuptlings. Aber auch nachdem Gito mayordomo geworden war, gefiel ihm vieles nicht. Ich wußte aus Erfahrung, daß er auch jetzt wieder nörgeln wollte.
    »Wir müssen hier in der Mission richtiggehend schuften«, sagte er und schaute mich an. Seine Augen waren klein aber sehr lebhaft, und er hatte einen Schnurrbart so schmal wie ein Faden, den er jeden Tag sorgfältig zupfte. »Woher kommst du?« Das hatte er mich schon öfter gefragt.
    »Von weither aus dem Osten«, antwortete ich.
    »Würdest du daheim in der heißen Sonne so schwer arbeiten?«
    »Wir arbeiten und wir ruhen uns aus, abwechselnd«, sagte ich.
    »Ihr arbeitet, wann ihr wollt und ihr ruht euch aus, wenn euch danach ist. Hier geht das nicht. Hier dürfen wir keine eigenen Wünsche äußern. Hier müssen wir Tag für Tag arbeiten, bei Sonne und Regen, im Winter und im Sommer. Manchmal frage ich mich: Warum schuftest du so schwer? Fragst du dich das nicht auch manchmal?« wandte er sich an Rosa.
    »Manchmal.«
    Er ging weiter die Furchen entlang, ließ jeden aus dem Krug trinken, wechselte mit den Leuten ein paar Worte oder machte einen Scherz.
    Alle schauten zu Gito Cruz auf; nicht nur, weil er mayordomo war, hauptsächlich, weil er

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