Das verlassene Boot am Strand
ich weiß, daß ein Mädchen ganz allein auf einer Insel lebt und keinen Menschen hat, mit dem sie sprechen kann. Und daß sie dort ohne Gottes Segen jebt, weil sie gar nichts von unserem Gott weiß, nach dem, was du mir erzählt hast.«
Kapitän Cordova wiederholte seine Frage: »Wärst du mitgegangen, wenn du nicht deine Tante erwartetest?«
Ich wollte Pater Merced und Pater Vinzenz nicht verletzen. Ich wollte auch Kapitän Cordova keinen Vorwand liefern, den er gegen die Flüchtlinge oder mich ausspielen konnte.
»Ich bin nicht mitgegangen. Genügt das nicht?«
»Nein, das genügt nicht«, sagte der Kapitän. »Das ist keine Antwort auf meine Frage.«
»Sie ist hier, und ihre Tante kommt ebenfalls hierher, Und das ist sehr wohl eine Antwort«, sagte Pater Merced.
Er mochte die Soldaten nicht. Keiner der Patres mochte sie. Alle wünschten, daß die Garnison möglichst weit weg Verlegt würde.
»Weißt du, daß die Indianer Dinge aus dem Besitz der
Mission gestohlen haben, Señorita? Kleidung und Decken und Töpfe und Nahrungsmittel.«
»Davon weiß ich nichts.«
»Weißt du, daß Stehlen ein Verbrechen ist?« fragte Kapitän Cordova.
Ich schwieg; ich wußte nicht, was ich sagen sollte.
»Weißt du, wo sich die Indianer versteckt halten?« fragte er plötzlich.
Ich schüttelte den Kopf.
Kapitän Cordova ging zur Tür und winkte die Soldaten herein, die draußen warteten. Zwei nahmen mich rechts und links am Arm.
Pater Merced erhob sich aus seinem Sessel, stellte sich unter die Tür und versperrte ihnen den Weg.
»Sie haben kein Recht, das Mädchen mitzunehmen«, sagte er zu Kapitän Cordova. »Sie haben überhaupt kein Recht in diesem Raum und in dieser Mission. Sie gehört der Kirche. Ich befehle Ihnen, die Mission sofort zu verlassen.«
Der Kapitän gab seinen Soldaten ein Zeichen. Pater Merced stand unbeirrt unter der Tür und versperrte ihnen den Weg.
»Mein lieber Pater Merced, manches, was Sie sagen, trifft zu und manches nicht«, sagte der Kapitän höflich. »Wenn es Ihnen egal ist, daß die Indianer Ihnen Decken und Nahrungsmittel stehlen, so geht mich das nichts an. Dies ist Ihre Kirche und Ihre Mission, und wenn die Indianer euch alles stehlen, was drin ist, und die Kirche noch dazu, so geht mich das erst recht nichts an. Aber die Indianer, die Sie in Schutz nehmen, haben auf ihrer Flucht zwei Stiere und zwei Kälber getötet, die Don Blas Corrientes gehören, und außerdem sechs Schafe aus Don Baltasar Morenos Herde.«
Kapitän Cordova legte Pater Merced die Hand auf die Schulter.
»Diese Herren mögen das nicht, wenn ihnen Vieh gestohlen wird. Wer könnte es ihnen verargen? Sie haben mich aufgefordert, etwas zu tun. Also tu' ich etwas. Haben Sie etwas dagegen? Wollen Sie, daß ich mich als Kommandant der Garnison lächerlich mache? Natürlich wollen Sie das nicht. Also komme ich her und verhöre den einzigen Indianer, der nicht weggelaufen ist, der keine Decken und Nahrungsmittel gestohlen und keine Rinder und Schafe getötet hat. Wie Sie vorhin vorgeschlagen haben, verlasse ich also Ihre Mission auf der Stelle, aber ich nehme das Mädchen mit, das mit den Ausbrechern unter einer Decke steckt und das nur aus persönlichen Gründen hiergeblieben ist.«
»Don Blas und Don Baltasar sollen sich bei den Gringos beschweren«, antwortete Pater Merced.
»Die Gringos tun in solch einem Fall gar nichts«, entgegnete Kapitän Cordova.
Das stimmte; die Gringos mischten sich nicht ein, wenn die Spanier und die Garnison und die Mission sich untereinander zankten, sie kümmerten sich gar nicht darum.
»Die Gringos lachen sich bloß ins Fäustchen über uns beide«, fügte Kapitän Cordova hinzu.
Er streckte den Arm aus und schob Pater Merced beiseite. »Mit Ihrer Erlaubnis möchten wir nun gehen. Wir haben noch viel zu tun.«
Er nickte den Soldaten zu, und sie zerrten mich hinaus, luden mich auf einen Karren und brachten mich in die Garnison.
18
Indianer aus der Mission hatten auch die Garnison gebaut. Sie ist am Rand eines niedrigen Felsvorsprunges gelegen, an dem die Wellen bei Flut hochschlagen.
Ich wurde in einen Raum geführt, der vier Schritte lang und drei Schritte breit war. Der Boden bestand aus Lehm mit Ochsenblut vermischt, und er war sehr hart und kalt. In der Wand zum Meer hin waren ein Fensterschlitz und eine schwere Tür. Der Schlitz war so schmal, daß nicht einmal ein Kind hindurchkriechen konnte; überdies war er durch ein Gitter aus drei kantigen Eisenstäben
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