Das verlassene Boot am Strand
erfahren? Oder schon früher? So etwas passiert doch nicht von einer Stunde zur anderen.«
»Sie weiß nichts, was Ihnen nützen könnte«, antwortete Pater Merced.
Kapitän Cordova verbeugte sich wieder. »Wir werden ihre Spuren auf nehmen und ihnen folgen. Am Abend hören Sie wieder von uns.«
Aber auch am Abend gab es nichts Neues von »Steinerner Hand« und seiner Gruppe, sie blieben verschwunden. Nur ein Schafhirte, der etwa fünfzehn Meilen südlich von Santa Barbara, nach Buena Ventura zu, seine Herde hütete, hatte in der Ferne an einer Stelle Rauch aufsteigen sehen, wo er noch nie zuvor Rauch beobachtet hatte.
In Santa Barbara war niemand mehr da, der die Arbeit getan hätte, und die Mahlzeiten verliefen still und gedrückt.
Bei der Abendmesse forderte Pater Merced uns Übriggebliebene auf, für die Flüchtlinge zu beten. Ich betete aus ganzem Herzen für sie, aber nicht darum, daß sie »das Licht erkennen mögen«, wie Pater Merced vorbetete, sondern daß sie, wo auch immer sie sein mochten, in Sicherheit und glücklich waren.
Nach der Messe ging ich zum Strand hinunter. Die Wellen schwappten über den Sand. Ich kniete nieder und betete zu Mukat.
Nach dem Glauben meines Stammes gab es zu Anbeginn der Welt zwei Götter, Mukat und Tumaiyowit. Die beiden Götter waren sich in vielen Dingen nicht einig. Tumaiyowit wollte, daß alle Menschen nach einer Weile starben, damit die Erde nicht überfüllt wurde, aber Mukat wollte das nicht. Deshalb zog Tumaiyowit hinunter, in eine andere Welt, und er nahm alles, was ihm gehörte, mit. Und weil er starb, müssen die Menschen ebenfalls sterben.
Ich betete zu Mukat für die Flüchtlinge und für Karana. Ich hatte schon zum Gott der Weißen gebetet und nun betete ich auch zu unserem Gott. Ich dachte mir, daß zwei Götter mir sicher mehr helfen konnten als nur einer.
Dann betete ich auch noch zu Koyote. Bald nachdem die Welt geschaffen wurde, war Mukat streitsüchtig geworden, und die Menschen mochten ihn nicht mehr. Sie verbrannten Mukat, aber Koyote rettete sein Herz und lief damit nach Norden, und überall auf seinem Weg hinterließ Mu-kats blutendes Herz Gold.
Ehe ich mich an diesem Abend schlafen legte, ging ich noch in die Kapelle der Heiligen Jungfrau und betete zu ihr, so wie Pater Vinzenz es mich gelehrt hatte.
17
Am nächsten Morgen kam Kapitän Cordova mit drei Soldaten in die Mission und fragte Pater Merced, ob er mit mir sprechen könne.
Ich wurde in den kleinen Raum gerufen, den Pater Merced manchmal als Büro benutzte. Dort wartete Kapitän Cordova schon. Sein Schnurrbart war frisch gezwirbelt, seine goldenen Knöpfe glitzerten und seine hohen Lederstiefel glänzten.
Der Kapitän war sehr höflich. Er verbeugte sich vor mir, was er sonst vor einem Indianer niemals tat.
Zuerst gab er Pater Merced einen kurzen Bericht. Seine Soldaten hatten die Flüchtlinge noch nicht eingeholt, aber sie waren ihnen auf der Spur und die Erfolgsmeldung konnte jeden Augenblick eintreffen. Dann blickte er auf mich. Auch seine Augen blickten höflich. Er betrachtete mich anders als er sonst die Indianer musterte: als ob sie irgendwelche seltsamen Geschöpfe wären, die er noch nie zuvor gesehen hatte und auch nie wieder sehen wollte.
»Wie heißt du, Señorita?«
Das war auch etwas, was diese Herren Offiziere sonst nie taten. Sie nannten ein Indianermädchen niemals Señorita. Ich wurde mißtrauisch und bekam Angst.
»Mein Name ist Zia.«
»Zia und wie weiter?«
»Zia Sandoval.«
»Du bist Indianerin, und du hast einen spanischen und einen indianischen Namen. Wie kommt das, Señorita?«
»Mein Vater hieß Sandoval, und meine Mutter nannte mich Zia. Er war Spanier und sie Indianerin.«
Diese Antwort schien ihm nicht zu gefallen, aber er fuhr fort: »Warum bist du nicht mit den Ausbrechern gegangen?«
»Meine Tante kommt bald von der Insel.«
»Und du möchtest hierin der Mission sein, wenn sie eintrifft?«
»Ja.«
»Was hättest du getan, wenn deine Tante nicht kommen würde?«
»Wieso?« fragte ich zurück.
»Wärst du mit den anderen mitgegangen?«
Ich mochte die Patres, manche mehr und manche weniger. Aber alle waren freundlich zu mir gewesen. Und Pater Merced hatte Pater Vinzenz erlaubt, zur Insel der blauen Delphine zu segeln, obwohl die Gefahr bestand, daß er nie wieder zurückkehrte. Und Pater Vinzenz war auf diese Fahrt gegangen, zu der nur wenige Männer den Mut gehabt hätten.
Er hatte gesagt: »Ich kann nicht mehr schlafen, seit
Weitere Kostenlose Bücher