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Das verlassene Boot am Strand

Das verlassene Boot am Strand

Titel: Das verlassene Boot am Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott O'Dell
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vielleicht zufällig dir gegeben?«
    Ich schwieg.
    »Er hat dir also den Schlüssel gegeben, damit du beide Türen öffnen solltest.«
    »In unserem Schlafsaal schliefen über fünfzig Mädchen und Frauen. Warum sollte er den Schlüssel gerade mir geben?«
    »Weil du mit ihm befreundet bist«, antwortete Kapitän Cordova. »Von allen Mädchen kannte er dich am besten. Dir konnte er vertrauen.«
    »Er kannte viele Mädchen, und er konnte allen vertrauen«, sagte ich.
    Der Kapitän räusperte sich und zog an seiner Zigarre. »Wann kommt deine Tante?«
    »Bald, hoffe ich.«
    »Möchtest du noch im Gefängnis sein, wenn sie ankommt?«
    »Nein, Señor.«
    Am liebsten hätte ich ihm gesagt, daß Señor Corrientes zehntausend Rinder besaß und es ihm nicht wehtat, wenn es ein oder zwei Stück weniger waren. Und daß Señor Moreno mehr Schafe besaß, als er zählen konnte. Aber ich behielt das für mich.
    »Nun, das hoffe ich auch! Vor allem, da wir in Santa Barbara berühmt für unsere Gastfreundschaft sind. Vielleicht trifft deine Tante bald hier ein, vielleicht schon morgen oder übermorgen oder nächste Woche. Vielleicht erhältst du inzwischen auch Nachricht von >Steinerner Hand<. All das einmal angenommen. Und nehmen wir auch noch an, daß du mir diese Nachricht übergibst. Dann können wir diesen klugen Burschen, der sich >Steinerne Hand< nennt, aufspüren und ihm eine kleine Lektion erteilen. Und dann können wir alle wieder freundlich zueinander sein, deine Tante in Santa Barbara willkommen heißen und ihr zu Ehren eine fiesta mit Musik veranstalten.«
    Er stand auf und rief nach Señora Gomez.
    »Und in der Zwischenzeit können wir vielleicht auch erfahren, wer mit diesem Schlüssel, den >Steinerne Hand< angefertigt hat, die Türen aufgeschlossen hat«, fuhr er fort. »Schlafsaaltüren öffnen sich nicht von allein oder durch Zaubersprüche.«
    Señora Gomez kam hereingewatschelt und blieb mit schläfrigem Gesicht neben der Tür stehen.
    Kapitän Cordova nahm den eisernen Handschuh und schob ihn sich noch einmal über die Hand. »Er sitzt nicht sehr gut, aber das soll er auch gar nicht. Ich habe noch einen zweiten dieser Art. Sie sind sehr schwer. Sie sind sehr unangenehm.«
    Der Handschuh hatte an der Seite eine Schraube und der Kapitän begann daran zu drehen, bis sie festsaß. Er hob die Hand bis über den Kopf. Ich konnte sehen, daß es Kraft erforderte. Dann ließ er die Hand mit dem schweren Eisenhandschuh auf den Schreibtisch krachen. Señora Gomez riß die Augen auf.
    »Ich benutze diese Handschuhe nur, wenn ich dazu gezwungen werde. Ich bin ein freundlicher Mensch, ziemlich gutmütig und sehr geduldig.«
    Kapitän Cordova hatte keine Macht über mich. Vor Jahren, als das Land hier zu Mexiko gehörte, hätte er meine Hand in den eisernen Handschuh stecken und die Schraube zudrehen können, bis ich schrie, so wie er das damals bei vielen Menschen gemacht hatte; das hatte man mir erzählt. Jetzt versuchte er nur, mir Angst einzujagen, und das konnte er sich nur erlauben, weil Pater Vinzenz weg war. Wenn Pater Vinzenz dagewesen wäre, hätte Kapitän Cordova es nicht gewagt, mich zu bedrohen. Aus irgendeinem Grunde fürchtete er Pater Merced nicht.
    Ich merkte, daß es ihm Spaß machte. Er hatte zwar kein Recht zu diesen Drohungen, aber ich konnte nichts dagegen tun. Ich war hilflos, und ich fürchtete mich, genau wie es in seiner Absicht lag.
    Er schraubte den eisernen Handschuh auf und legte ihn wieder auf seinen Schreibtisch. Dann nickte er Señora Gomez zu, und sie führte mich in meine Zelle.
    Am Abend hörte ich ein Kratzen unter dem Zellenfenster und dann eine Stimme. Es war Mando, der vom Fischen zurückgekehrt war.
    »Ich hab' dir etwas zu essen gebracht«, flüsterte er. Er schob ein Stück Fleisch durch die Gitterstäbe. Er hatte es sich von seinem Abendessen aufgespart. »Morgen bring' ich dir wieder was, Zia.«
    »Vorsicht«, wisperte ich. »Hier gibt es viele Ohren, die lauschen. Sie haben sonst nichts zu tun.«
    »Ich werde vorsichtig sein«, antwortete Mando. »Und wenn sie mich erwischen, dann haben sie einen Berglöwen gefangen, und sie werden mit ihm keine Freude haben.«
    Das Fleisch war zäh, aber es schmeckte gut nach den trockenen Tortillas.
     

20
     
    Drei Tage verstrichen. Der Nordwind brachte einen Sturm, der zwei Tage dauerte.
    Ich fragte mich, wie es wohl Kapitän Nidever und seinem Boot ging. War er noch in Sicherheit auf der Insel der blauen Delphine oder hatte ihn der Sturm

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