Das verlassene Boot am Strand
gesichert, hatte aber kein Fensterglas.
Eine sehr dicke Frau, deren ganze Gestalt sich mehr auf und ab als vorwärts bewegte, wenn sie dahergewatschelt kam, war die Aufseherin für den Frauentrakt. Sie hieß Señora Gomez.
Sie schloß die Tür und befahl mir, mich auszuziehen. Sie hing meine Sachen sorgfältig auf einen Haken an der Tür. Aus einer Strohtasche, die sie unter dem Arm trug, zog sie ein dünnes Baumwollhemd und befahl mir, es anzuziehen.
»Zieh auch deine Sandalen aus und stelle sie neben dein Bett«, sagte sie mit sanfter Stimme.
Mein Bett war ein Haufen Stroh auf dem Boden in einer Ecke, ich stellte meine Sandalen daneben.
Ich schaute die Frau lange an, bis sie mich endlich auch mit ihren kleinen schwarzen Augen, die zwischen Fettwülsten hervorlugten, ansah.
»Warum nehmen Sie mir meine Kleider?« fragte ich. Ich spürte bereits die kühle Brise vom Meer her und den kalten, harten Boden.
»Das ist Befehl«, antwortete sie immer noch sanft. »Befehl vom Señor Capitán. Ich frage ihn nicht, warum er einen Befehl gibt; ich tu' nur, was er sagt.«
Señora Gomez gab mir einen Krug Wasser und fünf Tortillas. »Das reicht bis morgen«, bemerkte sie und zwängte sich durch die Türöffnung. Sie zögerte kurz und setzte hinzu: »Der Kapitän ist ein kluger Mann. Ich rate dir, die Wahrheit zu sagen, wenn er dich etwas fragt. Du hast es dann leichter.«
Schnaufend ging sie hinaus, sperrte die Tür ab und watschelte davon.
Ich trat ans Fenster. Ich konnte die beiden Inseln sehen und dazwischen Walfontänen. Es war Ebbe, Wasservögel liefen am Strand entlang und pickten sich ihre Nahrung aus dem Sand.
Die Sonne ging unter; die Flut setzte ein, Wellen schlugen gegen die Felsen unterhalb der Garnison, die Gischt spritzte durch den vergitterten Fensterspalt. Niemand kam in die Nähe meiner Zelle, und außer dem Rauschen der Brandung war nichts zu hören.
Es wurde kalt. Ich kroch in den Strohhaufen in der Ecke, aber ich mußte immer wieder aufstehen und mich bewegen, um mich ein wenig zu erwärmen. Ich sprang auf dem Stroh auf und ab. Ich war sicher, lange bevor der Tag anbrach, würde ich erfroren sein und keine Sonne und nichts würden mich wieder auftauen können.
Mitten am Vormittag kam Señora Gomez. Sie war zu klein, um zum Fenster hinaufzureichen, also unterhielten wir uns durch die Tür.
»Hast du gut geschlafen?« fragte sie.
»Ausgezeichnet«, antwortete ich.
»War es warm genug?«
»Ja, danke, sehr warm.«
»Gut«, sagte Señora Gomez und ging.
Etwa eine Stunde später kam sie wieder. Sie öffnete die Tür einen Spalt, schob vier Tortillas herein, schloß die Tür ab und verschwand.
Am Nachmittag schien die Sonne in meine Zelle. Mir wurde wieder warm, aber ich fürchtete mich vor der Nacht, wenn ich mich wieder nur durch Bewegung vor dem Erfrieren würde retten können.
Ein Schiff tauchte zwischen den beiden Inseln auf und ging etwa eine Meile vor Santa Cruz vor Anker. Die Sonne schien mir in die Augen, und zuerst dachte ich, es könnte vielleicht Kapitän Nidevers Boot sein. Aber es war ein Yankee-Walfänger, der zwei tote Wale im Schlepp hatte. Die Besatzung begann sofort, die Wale zu zerlegen und große Stücke in die Kessel auf Deck zu werfen. Schwarze Wolken stiegen auf, und der beißende Rauch wurde bis in meine Zelle getrieben.
Als es dämmerig wurde, kam Señora Gomez, und sie sprach mit mir wieder nur durch die verschlossene Tür.
»Der Kapitän ist von Ventura zurückgekehrt«, sagte sie. »Er ist sehr müde von dem langen Ritt, aber er hat mir aufgetragen, dich zu fragen, ob du es dir inzwischen anders überlegt hast.«
»Was sollte ich mir anders überlegen?« fragte ich.
»Die Sache mit den Ausbrechern und dem Diebstahl in der Mission und den geschlachteten Rindern... all das.«
»Ich weiß nichts«, sagte ich.
»Soll ich ihm sagen, daß du nichts weißt?«
»Sagen Sie es ihm und gehen Sie mit Gott«, antwortete ich.
Die zweite Nacht in der Zelle war wie die erste. Ich mußte mich in meinem dünnen Baumwollhemd beinahe ständig in Bewegung halten. Ich fror die ganze Nacht und konnte mich kaum noch rühren, als die Sonne endlich aufging. Aber irgendwie war es doch nicht ganz so schlimm wie in der Nacht zuvor.
Ich sagte mir: »Ich kann das noch lange durchhalten. Ich kann schweigen, bis sie genug von mir haben und mich wieder laufen lassen.« Das klang sehr tapfer, aber eigentlich war mir gar nicht so tapfer zumute.
Am nächsten Morgen kam Señora Gomez schon
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