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Das verlassene Boot am Strand

Das verlassene Boot am Strand

Titel: Das verlassene Boot am Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott O'Dell
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unterwegs überrascht? Es war sehr kalt, und Kapitän Cordova befahl, mir meine Kleider zurückzugeben, und ich bekam außerdem eine Decke.
    Auf dem Walfänger wurde kein Walfett mehr ausgekocht, und die Luft war wieder sauber. Das Schiff lichtete den Anker und segelte davon, und die Delphine kehrten zurück. Ich sah sie weit draußen vor der Brandung spielen. Auch die Wale kamen zurück und ließen ihre federförmigen Fontänen aufsteigen.
    Am sechsten Tag ließ mich Kapitän Cordova wieder in sein Büro holen. Die beiden eisernen Handschuhe lagen auf seinem Schreibtisch und waren das erste, was ich sah. Kapitän Cordova war guter Laune; er zog an einer Zigarre, hatte seinen breitrandigen Hut mit der goldenen Litze ins Genick geschoben und die Beine in den doppelt genähten Stiefeln auf den Tisch gelegt.
    »Ich habe gute Nachrichten«, begann er. »Jedenfalls glaube ich, daß sie gut sind. Das kann man bei Neuigkeiten nie so genau wissen. Neuigkeiten sind wie Sahne, die auf dem Weg von der Kuh in die Küche sauer werden kann.«
    Ich wartete auf die Neuigkeit und wußte, daß sie nicht für alle gut sein konnte.
    »Don Blas Corrientes hat berichtet, daß >Steinerne Hand< und seine Bande an der Quelle des Flusses lagern, der durch seine Ranch fließt«, sagte der Kapitän. »Der Canon ist wie eine Sackgasse, man kann nur an einer Stelle hinein und hinaus. Für Don Blas' Leute und meine Soldaten ist es ganz einfach, die Gruppe einzukreisen und zur Mission zurückzubringen.«
    Er machte eine Pause und spielte mit der Schraube an einem der eisernen Handschuhe. Ich fragte mich, was das alles mit mir zu tun hatte. Der Kapitän mußte wissen, daß ich keine Nachricht von »Steinerner Hand« bekommen hatte; und wenn, so konnte ihm das jetzt auch egal sein. Er wußte, daß »Steinerne Hand« und alle meine Freunde in einem Cañón in einer Falle saßen, aus dem sie nicht entkommen konnten. Was wollte er also noch von mir? Warum versuchte er mir mit den eisernen Handschuhen Angst einzujagen? Warum hielt er mich weiterhin in einer kalten, engen Zelle gefangen, in der ich fror und mich kaum umdrehen konnte, wo ich auf Stroh auf dem Boden schlafen mußte und nur einen vergitterten Spalt zum Hinausschauen hatte?
    »Wie lange bist du schon in der Missionsstation?« fragte er.
    »Viele Monde.«
    »Woher kommst du?«
    »Aus Pala.«
    »Ich kenne die Gegend. Die Cupeños sind dorthin gezogen, nachdem sie Warner Springs verlassen haben. Warum bist du hierhergekommen?«
    »Wegen meiner Tante. Ich habe gehört, daß sie allein auf der Insel der blauen Delphine lebt.«
    »Und du dachtest, daß sich in Santa Barbara vielleicht jemand findet, der hinsegelt und sie sucht?«
    »Ja, Señor.«
    Ich wußte immer noch nicht, worauf er hinauswollte.
    »Du bist also schon lange hier. « Er machte eine Pause und betrachtete seine Zigarre, die ausgegangen war. »In dieser Zeit hast du die einzelnen Patres sicher recht gut kennengelernt?«
    »Ja, Señor.«
    »Du hast mit Pater Merced gesprochen, und du hast mit den anderen Indianern gesprochen, die auch mit ihm gesprochen haben. Du hast nach seinen Anweisungen am Webstuhl und im Garten gearbeitet.«
    »Ja, Señor.«
    »Dann sag mir mal...« Der Kapitän tat plötzlich, als ob wir alte Freunde wären, die miteinander plauderten. »Mögen die Indianer diesen Mann, diesen Pater Merced?«
    »Ja«, antwortete ich.
    »Du sagst das ohne große Überzeugung...«
    »Die Jungen und Mädchen respektieren Pater Merced.«
    »Sie respektieren ihn?« Kapitän Cordova zündete die ausgegangene Zigarre wieder an. Sie stank noch schlimmer als zuvor. »Wenn sie ihn respektieren, warum fliehen sie dann aus seiner Mission?«
    »Das weiß ich nicht«, sagte ich.
    »Sind die anderen glücklich in der Mission?«
    »Manche ja und manche...«
    »Und manche würden lieber davonlaufen und nie wieder zurückkommen, nicht wahr?«
    Kapitän Cordova haßte Pater Merced. Die ganze Mission wußte das. Jedermann wußte auch, daß Pater Merced den Kapitän haßte. Pater Merced beklagte sich oft über Kapitän Cordova und seine betrunkenen Soldaten, und Kapitän Cordova beklagte sich oft über Pater Merced und die Mission. Soviel ich gehört hatte, war dieser Streit zwischen der Garnison und den Missionen nichts Neues: Er dauerte schon so lange wie die Mission und die Garnison bestanden, beinahe hundert Jahre.
    »Du hast hier in diesem Zimmer angedeutet, daß du ebenfalls geflohen wärest, wenn du nicht auf die Ankunft deiner Tante warten

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