Das verletzte Gesicht
nicht viel Zeit, er musste improvisieren. Rasch zerdrückte er ein paar Kissen, warf einige auf den Boden und bereitete die Szene vor wie ein Regisseur.
Beeilung, drängte er sich, Mondragon kann jede Sekunde an die Tür klopfen.
Er entdeckte die zwei Weingläser auf dem Tisch neben der Flasche. Perfekt. An einem war Lippenstift. Das Braut-Magazin musste natürlich verschwinden. Hastig schob er es unter ein Sofakissen. Mit Schweißperlen auf der Stirn eilte er zur Treppe und lauschte. Im Bad lief Wasser ein, und die Tür war geschlossen. Gut. Er zog das Jackett aus und lockerte die Krawatte. Es könnte funktionieren, dachte er freudig erregt, knöpfte sein Hemd auf und zerrte es aus der Hose. Dann eilte er noch zur Stereoanlage und drehte die Musik leise auf, damit man es oben nicht hörte. Als er gerade seinen Gürtel öffnete, klingelte Michael an der Tür.
Gerade rechtzeitig. Mit einem letzten Blick zur Treppe zog Freddy den Hosenreißverschluss auf und lief zur Tür. Unterwegs zerwühlte er sich noch mit einer Hand die Haare und öffnete.
„Was wollen Sie?“ bellte er den überraschten Michael an. Dessen Mienenspiel war sehenswert. Zorn blitzte in seinen dunklen Augen auf. Doch ebenso in Freddys. Es war ein Duell der Blicke, aber Freddy wusste, er war im Vorteil.
Michael maß ihn mit einem vernichtenden Blick: das zerwühlte Haar, die nackte Brust und Freddys Bemühen, den Hosenschlitz zu schließen, das vermittelte einen eindeutigen Eindruck. Freddy erkannte an Michaels Mimik, dass sein Plan aufging.
Trotzdem drängte Michael sich an ihm vorbei ins Haus. So wie er aussah, die langen Haare offen, die Kleidung zerknittert, Schmutz an den Schuhen und Bartstoppeln im Gesicht, war es auch für ihn eine lange Nacht gewesen. Gut, dachte Freddy bei sich. Wie fühlst du dich jetzt, Mondragon? So habe ich mich seit Monaten gefühlt.
„Wo ist sie?“ Michael betrat den Wohnraum, die Hände an den Seiten geballt.
„Das dürfte kaum der richtige Zeitpunkt sein, hier aufzukreuzen und nach Charlotte zu verlangen“, erwiderte Freddy gedehnt.
„Damit Sie das richtig kapieren“, begann Michael und stieß ihm den Zeigefinger fast ins Gesicht, „ich habe nur gefragt, wo sie ist.“
Freddy zog viel sagend die Brauen hoch und deutete auf die Spur aus Wäsche auf Boden und Sofa. Michael sah es über die Schulter hinweg und erbleichte.
Freddy hätte am liebsten laut gejubelt, als er bemerkte, wie Michael die Schultern hängen ließ. Aus dem Lautsprecher erklang Bessie Smith. Es war wunderbar. Er hätte diese Szene endlos genießen können. Da er jedoch nicht wusste, wie viel Zeit ihm blieb, holte er zum Todesstoß aus.
„Sie sehen, wie es ist, Mondragon. Warum sind Sie nicht einfach Gentleman und gehen?“
Michael wandte sich ihm zu, die Lippen bleich, der Blick wütend und traurig zugleich. „Ich glaube das einfach nicht.“
„Warum fragen Sie sie nicht selbst? Sie ist oben und nimmt ein Schaumbad.“ Nach einer kurzen Pause: „Sie wollte sich etwas frisch machen.“
Michaels Nasenflügel bebten. Einen Moment sah es so aus, als wolle er sich auf Freddy stürzen. Er tat es nicht, wandte sich stattdessen ab und verließ das Haus. Wie Freddy hoffte, für immer.
„Hallo, Dr. Harmon. Hier spricht Charlotte Godfrey. Godowski“, fügte sie hinzu, da er stutzte.
„Aber natürlich. Charlotte, wie geht es Ihnen? Es ist lange her. Ich habe Ihre Karriere verfolgt. Meinen Glückwunsch. Ich wusste, dass Sie es schaffen würden.“
„Dr. Harmon“, fuhr sie rasch fort, da sie keine Zeit für einen Schwatz hatte, „es hat sich ein Problem ergeben.“ Dann berichtete sie kurz von ihren Symptomen und Dr. Navarros Tests. „Er sagt, ich muss die Implantate entfernen lassen. Natürlich irrt er sich, aber er hat mich nervös gemacht. Was soll ich tun?“
Ein längeres Schweigen. „Das ist am Telefon schwer zu entscheiden“, antwortete Dr. Harmon langsam. „Dieser Dr. Navarro hat die Kollegen Haverhill und Quinn hinzugezogen? In L.A.?“
„Ja, aber sie haben mich nicht gesehen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie den Fall gut genug kannten, um eine Diagnose zu stellen.“
„Es sind exzellente Ärzte. Navarro hat die Besten konsultiert. Ich kenne die wissenschaftlichen Arbeiten, auf die Navarro sich bezieht. Nicht jeder, der Implantate hat, bekommt auch Abstoßungsreaktionen, wie die Studie belegt. Aber in Ihrem Fall … Natürlich muss ich Sie sehen. Können Sie nach Chicago kommen? Sofort? Ich hole meinen
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