Das verletzte Gesicht
drehen?“ fragte er und überraschte sie mit dieser einfachen Frage.
Sie zwang ihr benebeltes Hirn zur Arbeit und dachte darüber nach. „Nein. Ehrlich, Freddy, ich glaube nicht. Nicht diesen Film.“
Freddy fuhr sich mit einer Hand über das Gesicht. „Wenigstens bist du ehrlich. Nun gut.“ Er schlug die Handflächen gegen die Schenkel. „LaMonica denkt darüber nach, dich zu verklagen. Wenn wir jetzt freiwillig aussteigen, kann er vielleicht einen Ersatz für dich beschaffen, und wir retten deinen Ruf. Er möchte unsere Entscheidung sofort wissen.“
Charlotte schwieg.
„Was die Schadensbegrenzung angeht, wir lassen verbreiten, dass du sehr krank bist. Was ja stimmt. Aber wir sagen, es ist etwas Heilbares, wie Lungenentzündung beispielsweise. Ich besorge einen Arzt, der die Diagnose bestätigt. Dann verstecken wir dich bis zur Oscar-Verleihung. Die zu überstehen ist erst mal das Wichtigste. Sobald du den Oscar hast, erledigt sich alles andere fast von selbst.“
„Meine Krankheit nicht, Freddy.“
„Natürlich nicht. Aber machen wir einen Schritt nach dem anderen.“
Charlotte lehnte sich fröstelnd zurück, während Freddy ihr erklärte, was er alles für die Oscar-Verleihung geplant hatte. Ihr eigentliches Problem hatte er offenbar unter „noch zu erledigen“ abgelegt, während er sich bereits mit der nächsten Stufe ihrer Karriereleiter befasste. Er war absolut gefühl- und rücksichtslos in seiner Geschäftsmäßigkeit, eben typisch Freddy.
Während er über die passende Musik, die Sitzverteilung, die Frage, ob sie eine der Präsentatoren hätte sein sollen und seine Kontaktpflege zu allen, die mit den Oscars zu tun haben, schwadronierte, wickelte sie sich in ihre Lieblingsdecke ein und schaltete ab.
Im Aufblicken entdeckte sie ihr perfektes Gesicht im Spiegel. Hochstaplerin, dachte sie und hasste die leere Schönheit, die sie sah. Etwas von ihrer Deformierung musste übrig geblieben sein, das sie nicht liebenswert machte. Michael konnte sie jedenfalls nicht geliebt haben. Sie hatte geglaubt, mit einem schönen Gesicht würde sich alles ändern. Doch im Grunde war alles gleich geblieben. Sie sehnte sich immer noch nach Anerkennung und Liebe.
22. KAPITEL
M ichael liebte den Frühlung und das Erwachen der Natur. Er stand auf der Veranda, die Hände in die Gesäßtaschen seiner Jeans geschoben, und lauschte dem Heulen der Kojoten, tiefe, seelenvolle Laute, die ihn bewegten. Kojoten lebten in Paaren. Seine Einsamkeit deprimierte ihn. Nach Monaten der Trennung hatte er geglaubt, Charlotte vergessen zu können. Doch sie hatte sich in seinem Herzen eingenistet.
Den Winter über hatte er ständig ihr Gesicht gesehen: in Zeitungen, in Talkshows, auf Reklametafeln für ihren neuen Film. Sie war als beste Schauspielerin für ihre Rolle der Marguerite in
Camille
nominiert worden, und das Studio richtete die Werbung danach aus.
Er sah sich den Film an, obwohl das verrückt war. Er konnte nicht anders. Das geliebte Gesicht auf der Leinwand zu sehen quälte ihn. An guten Tagen stimmte er mit den Kritikern überein, dass Charlotte in ihrer Rolle brillierte. Wenn seine Verbitterung die Oberhand gewann, fand er, dass ihr die Rolle der lügenden, manipulativen Schönheit auf den Leib geschneidert war. Eine Textzeile, die Marguerite zu Armand sagt, ging ihm nicht aus dem Sinn: „Ich bin nicht immer aufrichtig. Das kann man nicht sein in dieser Welt.“
Ha! Wie leicht mussten ihr diese Worte gefallen sein. Er fühlte sich betrogen wie Armand. Auch nach all der Zeit war jede plötzliche Erinnerung an Charlotte mit einem Stich im Herzen verbunden.
Und immer wieder wurde er mit ihrem Gesicht konfrontiert. Dabei fiel ihm auf, dass sie in Interviews oder auf Fotos selten lächelte. Das mochten die meisten als ihre kühle Distanziertheit abtun, doch er wusste es besser. Er erkannte die kleinen Signale des Kummers: das feste Falten der Hände, ein leichtes Zucken der Lippen, die Neigung des Kopfes. Meistens schaltete er den Fernseher aus, sobald sie erschien. Manchmal jedoch verfiel er in eine Art Trance, sah sie an, lauschte und fragte sich besorgt, warum sie so traurig war. Diese Augenblicke waren besonders schwer. Er war eitel genug zu glauben, dass sie ihn vielleicht vermisste und den Bruch ihrer Beziehung bedauerte, vielleicht sogar bereute.
Manchmal betrachtete er sie und fragte sich, ob es ihm etwas ausmachte, wenn sich dieses Gesicht veränderte. Einmal, bei einem Interview mit Jay Leno, war er zum
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