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Das verletzte Gesicht

Das verletzte Gesicht

Titel: Das verletzte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Monroe
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asexuell als homosexuell. Das dachten wohl alle in der Familie, ohne es auszusprechen. Über derlei diskutierte man daheim nicht.
    Michael war wie benommen, während sie schweigend Meile um Meile fuhren. Wie hatte er die Hinweise alle missdeuten können? Bobbys Manierismus, seine Sprechweise, die Tatsache, dass er mit vielen Frauen befreundet war, ohne eine Freundin zu haben. Er kleidete sich sorgfältig, aber niemals grell. Auch ihrem Vater war das aufgefallen. Luis spottete über Bobbys Westenanzüge, die feinen Lederschuhe und seine Detailverliebtheit in modischen Dingen.
    Wie nannte Papa ihn? Einen Lebemann. Und da schwwang immer Stolz mit, dass sein Sohn so gut aussah. Ein Mexikaner, der es den Gringos zeigte. Besonders gefiel Papa der Schal um Bobbys Hals. Er hielt das für mexikanisch. Welch ein Narr, das war kein Nickituch, sondern ein Schal von Hermès.
    Die Anzeichen waren vorhanden gewesen, doch er hatte sie nicht gedeutet oder sich vor Deutung gescheut. „Weiß Papa es?“
    „Was glaubst du wohl?“ Bobby machte einen tiefen Zug an der Zigarette. „Ist dir nicht aufgefallen, dass Papa und ich …“ Er suchte nach dem richtigen Wort „…
incommunicado
sind?“
    Michael nickte und räusperte sich. Seine Kehle war wie ausgedörrt. „Klar. Es war nie leicht, mit ihm auszukommen. Ich dachte, er wäre sauer, weil du das Geschäft nicht übernommen hast.“
    „Das war er allerdings“, bestätigte Bobby verbittert. „Und er ist es immer noch … zumal du auch abgehauen bist. Es ist traurig.“ Wieder ein tiefer Zug an der Zigarette. „Papa und ich, wir standen uns mal sehr nahe. Früher war er stolz auf meine Wandgemälde, besonders auf die mit mexikanischen Themen. Er zeigte sie stolz seinen Freunden und gab mir das Gefühl, meine Arbeit sei etwas wert, auch wenn ich nicht im Familienunternehmen mitmischte.“ Er zuckte die Schultern. „Vermutlich dachte er, meine Malerei wäre ein Kinderhobby, das sich irgendwann auswächst.“
    „Du hast es ihm nicht gesagt?“
    „Was? Dass ich homosexuell bin? Ich bin doch nicht verrückt.“
    „Er sollte es wissen. Es ist nichts, dessen man sich schämen müsste.“
    Bobby lachte laut auf. „Du denkst, ich hätte geschwiegen, weil ich mich schäme, schwul zu sein? Mein Gott, bist du naiv. Ich habe kein Problem mit dem Schwulsein, aber Papa. Du bist im selben Haushalt aufgewachsen wie ich. Was glaubst du, würde passieren, wenn ich es ihm sagte?“
    „Das kann ich mir nicht recht vorstellen.“
    „Ich schon. Zuerst würde er mir nicht glauben. Er würde sich taub stellen. Und wenn er es nicht mehr leugnen könnte, würde er mich zusammenschlagen, um die Dämonen auszutreiben.“
    „Ich würde nicht zulassen, dass er dich schlägt“, entgegnete Michael.
    „Verdammt, Miguel!“ schrie Bobby. „Ich will nicht, dass du für mich eintrittst! Ich bin selbst ein Mann. Ich will nicht, dass du mich vor meinem Vater verteidigst!“ Der Wagen schlingerte ein wenig, kam auf Kies und fand wieder zur Fahrbahn.
    „Beruhige dich.“
    Bobby atmete heftig, hochrot im Gesicht. Er rang eine Minute um Fassung und sagte ruhig, aber entschieden: „
Ich will nicht, dass du es ihm sagst.“
    „In Ordnung.“
    „Schwöre.“
    „Ich sagte, in Ordnung.“
    „Versprich es mir.“
    Michael legte seufzend den Kopf zurück. „
Sí, Roberto, Yo te promeso
.“ Er rieb sich den Nasenrücken. „Die Entscheidung liegt bei dir. Es ist nur verdammt schade, dass du nicht mit deinem eigenen Vater reden kannst.“
    „Konnten wir das je?“
    Bobby nahm die übliche Abfahrt vom Highway. Sobald sie auf der Nebenstrecke waren, zog er noch eine von seinen geliebten starken Zigaretten hervor.
    „Weiß Mama es?“ fragte Michael leise.
    Bobby wirkte eingefallen und zuckte nur die Schultern. „Natürlich haben wir nie darüber gesprochen. Aber bei Familienfestlichkeiten fragt sie mich nicht mehr nach meinen Freundinnen. Sie ahnt etwas, würde jedoch nie nachforschen. Sie fürchtet sich vor der Wahrheit. Nein, kleiner Bruder,
Mamacita
will nur wissen, ob ich zur Kirche gehe und zur Beichte.“ Kurz auflachend warf er Michael einen Seitenblick zu. „Sodomie ist eine Sünde, wie du weißt, eine Todsünde.“
    Michael konnte nichts Lustiges daran entdecken.
    „Sie verdrängen die Wahrheit, damit sie sich nicht damit auseinander setzen müssen, geschweige denn sie akzeptieren. Es ist einfacher für sie, mich für eine verrückte, nichtsnutzige Künstlertype zu halten.“
    „Roberto

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