Das verletzte Gesicht
hässlich.“
Er blieb skeptisch. „Die Geschichte vom hässlichen Entlein, das sich in einen Schwan verwandelt?“
Sie runzelte leicht die Stirn. „Etwas in der Art. Warum ist das so schwer zu glauben? Sie behaupten ja auch, dieses hässliche Grundstück in einen wunderschönen Garten verwandeln zu können, und erwarten, dass ich es glaube.“
Er gab sich mit erhobenen Händen geschlagen. „Sie gewinnen. Ich glaube, Sie waren ein hässliches Kind.“
In diesem Moment war sie geneigt, ihm alles zu beichten, ihre Deformation, die Demütigungen der Kindheit und die Operation. Vielleicht hätte sie ihn an ihre erste Begegnung im Fahrstuhl erinnert, an das hässliche Mädchen. Erinnerte er sich überhaupt an sie?
Unmöglich. Sie konnte ihm das nicht erzählen, er würde sie für verrückt halten. Sie hatte ihre Entscheidung bereits in Chicago getroffen. Charlotte Godowski war tot, sie war Charlotte Godfrey, und nur die kannte Michael Mondragon. Sie widmete sich wieder der Skizze. „Ich hätte die Magnolie gern in der Nähe des Schlafzimmers, damit ich die Blüten sehen kann. Meine Mutter liebte Magnolien.“
Eine Hand auf den Tisch gestützt, veränderte er die Skizze mit wenigen Strichen. Dabei berührte sein Hemd ihre Wange, und ihr Puls schlug schneller.
„Erledigt. Die Sommerblumen sollten Sie behalten, hier und da.“
Seine Nähe machte sie unruhig, und sie wunderte sich, dass er es nicht merkte. „Bei Ihnen sieht das alles so einfach aus“, sagte sie mit belegter Stimme. „Ich bin kaum in der Lage, eine gerade Linie zu zeichnen.“
„Das verdanke ich alles den Nonnen und der Palmer-Methode des Schreibens.“
Lachend erinnerte sie sich an die Palmer-Methode, nach der auch sie reihenweise Schlingen gemalt hatte.
„Wo sind Sie aufgewachsen?“ fragte er, um eine Unterhaltung in Gang zu bringen.
Sie lehnte sich ernst im Stuhl zurück. „Chicago“, erklärte sie vorsichtig.
„Ohne Scherz? Die Welt ist doch klein. Wo?“
„Ach …“ Sie suchte rasch nach Orten, die vage genug und hübsch genug waren. Irgendwo, wo ihre Mutter geputzt hatte. „In den westlichen Vororten.“
„In welchem?“
Der Mann war beharrlich. Was würde wohl passieren, wenn sie sagte: eigentlich im Westteil der Stadt, an der Harlem Avenue. In einem der Wohnblocks, die Architekten Ihres Schlages hassen. Zwischen Burger King und dem Büro der Wahrsagerin, die für zehn Dollar die Zukunft prophezeit. Ob eine solche Antwort sie wohl weniger begehrlich gemacht hätte? Und falls ja, würde sie ihn dann noch anziehend finden? „Oak Park“, erklärte sie und hüstelte wegen der Lüge. „Eigentlich ist es eine Stadt, etwas abseits vom Eisenhower Expressway.“
„Ich weiß, wo das liegt. Das Frank Lloyd Wright Museum und ein paar tolle Häuser, die er gebaut hat, sind dort.“ Wie beiläufig erkundigte er sich: „Haben Sie dort allein gelebt?“
„Nein.“ Sie unterdrückte ein Schmunzeln, da er die Stirn leicht furchte. „Ich habe mit meiner Mutter gelebt. Sie brauchte mich, und ich fand, ich sollte bei ihr bleiben.“
Die Antwort freute ihn offenkundig.
„Und Sie?“
„Ich lebe in der Innenstadt von Chicago, in einer Loftwohnung in Printer’s Row.“
„Das ist eine schöne Gegend, sehr chic.“
„Und angenehm nah bei den Museen und der Bibliothek. Das gefällt mir.“
Das konnte sie sich vorstellen. „Das fehlt Ihnen sicher.“
Er zuckte die Achseln. „Ihre Mutter fehlt Ihnen sicher auch.“
„Ja, das tut sie.“ Sie dachte kurz nach. „Aber sie ist sehr aktiv und hat viele Freunde. Sie hatte ein schönes altes Haus, in dem sie seit Ewigkeiten lebte, aber das war ihr zu groß. Besonders, seit ich in Kalifornien bin. Also hat sie es verkauft. Jetzt lebt sie in einer hübschen Eigentumswohnung. Dort hat sie alles, was sie braucht. Einen Lift im Haus, Einkaufsmöglichkeiten und eine Kirche. Und alle Freunde leben in der Nähe. Sie führt ein unauffälliges, aber aktives Leben. Ich bin sicher, sie vermisst mich nicht.“ Sie wischte sich die Stirn und spürte Kopfschmerzen aufziehen.
„Das kann ich kaum glauben. Ich bin sicher, Sie werden schmerzlich vermisst.“
Sie wandte den Blick ab, da ihr die Tränen kamen. Sie mochte nicht über ihre Mutter reden. „Sprechen wir über den Garten“, bat sie und beugte sich mit geschürzten Lippen über den Plan. „Wenn ich es richtig verstehe, sind die Sommerblumen hier und dort an der Haustür. Die Magnolie ist da. Auf die Bodendecker kann ich vorerst
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