Das verletzte Gesicht
gnadenlosen Neonlicht.
Ihr Pullover war über die Brüste hochgeschoben, und ihr zerknautschter Rock lag nur noch wie ein Schal um ihre runden Hüften. Ihr Gesicht war mit verlaufender Mascara und Lippenstift verschmiert. Wie hatte er sich nur einbilden können, sie sei Charlotte? Sie war eine krasse, billige Version des Originals. Er verabscheute sie dafür, dass sie ihn in Versuchung geführt hatte.
„Freddy?“ Mit Tränen in den Augen zog sie ihren Pullover herunter und suchte nach einer Erklärung. Er kannte diesen Blick und hatte ihn oft genug bei Frauen gesehen. Sie hielten es immer für ihre Schuld, und es war besser, sie in dem Glauben zu lassen.
„Das hier ist nie passiert“, sagte er kühl und zupfte sich seine Manschetten zurecht. „Hast du verstanden? Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist.“
Melanie wirkte gekränkt, doch dann wurde ihr Blick hart. Sie sah auf seinen Hosenschlitz, wischte sich schniefend die Tränen unter den Augen fort und straffte sich.
„Ja?“ fragte sie und schob keck eine Hüfte vor. „Das könnte dir so passen. Was ist los? Bin ich dir nicht gut genug? Bringt ihn nur das Original hoch?“
„Halt die Klappe!“ schrie er sie an. Seine Furcht drohte ihn zu ersticken.
Melanie sah ihn lange durchdringend an, bis es ihr dämmerte. Dann überzog ein boshaftes Lächeln ihr Gesicht. „Allmählich kapiere ich. Es geht weder um Charlotte noch um mich. Gleichgültig, wie wir aussehen oder uns kleiden, wir könnten uns wie rollige Katzen an dir reiben, und es würde nichts bringen, richtig? Ich habe Gerüchte gehört, aber ich habe es nicht geglaubt.“
Er stand stocksteif. „Was hast du gehört?“
„Dass du ihn nicht hochkriegst. Nichts. Tote Hose.“ Sie lachte laut auf.
Freddy wandte sich ab, damit sie seine Panik nicht bemerkte. Er hatte teuer dafür bezahlt, dass sein Geheimnis geheim blieb. Seine Exfrau Ali war zum Stillschweigen verpflichtet worden. Dafür hatte sie fast jeden sauer verdienten Cent von ihm erhalten. Wenn seine Impotenz publik wurde, machte man sich in der Branche nur noch über den Schwächling lustig. Dann gehörte er nicht mehr zum Kreis der wichtigen Leute. Das durfte nicht geschehen. Nicht gerade jetzt, da er wieder Boden unter die Füße bekam.
„Vergiss nicht, wer ich bin“, sagte er frostig. „Halt den Mund, und ich besorge dir eine Rolle in Charlottes neuem Film. Aber ein Wort über diese Sache, und deine Karriere ist beendet.“ Er sah zu Melanie, die mit hängenden Schultern geschlagen dastand und sein Angebot erwog. „Wir wissen beide, dass die Geier bereits kreisen.“
„Fahr zur Hölle, Freddy!“
Er sah abwartend aus dem Fenster. Charlotte brachte ihren Gärtner zum Tor. Der Wind wehte ihr den Strohhut vom Kopf, und sie lief lachend hinterher wie ein Schulkind.
„Okay“, antwortete Melanie eingeschnappt. „Abgemacht.“
Freddy hörte nicht mal hin. Er war geradezu besessen von der Eifersucht auf den großen, gut aussehenden Mann, der Charlotte jetzt am Tor in die Arme nahm und sie auf die Stirn küsste. Nur jemand mit so ausgeprägter Männlichkeit brachte eine Frau selbst mit einem flüchtigen Kuss zum Beben, wie ihm das bei Charlotte offenbar gelang.
Seit über zwanzig Jahren haderte Freddy mit Gott wegen des Unfalls, der ihn impotent gemacht hatte. Der Zorn darüber fraß an seiner Seele wie ein bösartiger Tumor. Plötzlich hatte dieser Zorn ein Ziel: die selbstsichere Männlichkeit des Michael Mondragon.
12. KAPITEL
M ichael stapfte durch das Herbstlaub, das ihn noch vor Wochen vor der sengenden Sonne geschützt hatte. Charlotte war fort, und sie fehlte ihm. Sie hatte einen Teil von ihm mitgenommen, den besten. Über die Sommermonate war ihre Liebe gereift, und ohne sie fühlte er sich ausgedörrt und leblos wie die Blätter, die ringsum fielen.
Er sah sich um. Erdfarben beherrschten die Gärtnerei, die für den Winter geschlossen war. Die Hilfskräfte waren abgereist und kamen erst im März wieder. Neben dem provisorischen Stand an der Straße baumelten blassgelbe Maiskolben im Wind. Er hatte den Stand aufgebaut, um Wochenendtouristen auf glänzende dicke Kürbisse, getrocknete Blumen und rote Äpfel aufmerksam zu machen, die sie zusammen mit einigen Handarbeiten und Marmeladen anboten.
Vorbei an Komposthaufen und gefüllten Schuppen ging er weiter den Weg zu dem kleinen Stuckhaus auf den Hügel hinauf mit seinen hellgrünen Einfassungen und der gelben Tür. Es hatte den besten Blick ins Tal. Sein Vater
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