Das Verlies der Stuerme
Dorf nichts gehört.«
»Wisst ihr, was das heißt?«, fragte Nica und sah sie reihum an. Ihre Augen strahlten. »Dass bedeutet, dass unsere Bekanntmachungen und die Entführung vor der Hinrichtung sie wirklich nervös gemacht haben. Der Orden setzt nun neue angebliche Wundergeschichten in die Welt, um seine Stärke zu preisen.«
»Meinst du wirklich?«
»Ja! Oder glaubt einer von euch, dass da mehr dahintersteckt? Wieso sollte jemand mit solchen Heilkräften freiwillig ein Abt des Ordens werden?«
Eine solche Vorstellung war in der Tat absurd. Der Orden erfand also neue Lügen, um die Wahrheit zu bekämpfen. Das konnte nur bedeuten, dass er sie wirklich fürchtete. Sie, einen winzig kleinen Haufen, der Widerstand leistete. Das gab Hoffnung, ab morgen würden sie den Kampf wiederaufnehmen. Wenn er schon nicht die ganze Flotte versenken durfte, dann würde Yanko zumindest herausfinden, wer Ben zu Tode gefoltert hatte. Und an ihm würde er sich furchtbar rächen.
»Wisst ihr, was mich seit zwei Tagen beschäftigt?«, fragte Nica plötzlich. »Aiphyrons Flügel. Wieso lagen sie noch
immer in der Bucht, als Juri dort ankam? Die Flügel werden doch üblicherweise rituell verbrannt. Warum haben die Ritter es diesmal nicht getan?«
»Vielleicht sollten wir sie finden?«, schlug Sidhy vor.
»Vielleicht. Aber warum?«
Darauf wusste keiner eine Antwort. Dafür, dass Ritter freiwillig auf ein Ritual verzichteten, musste es sehr gute Gründe geben. Doch solange sie diese nicht kannten, kamen sie hier nicht weiter. Darüber hinaus half es ihnen nicht weiter, Aiphyron ohne Ben zu finden. So sehr es schmerzte, ihn in der Gewalt des Ordens zu wissen, ohne Bens Gabe konnten sie nichts für ihn tun. Er war unwiederbringlich versklavt.
VON DRACHEN UND FALSCHEN GEBETEN
N achdem Ben in der folgenden Nacht einen Drachen von einem versteiften Kniegelenk geheilt hatte, wurde er zurück in seine Zelle geführt. Herr Sieghold vermied mit verbissener Miene jede Berührung und jeden Blickkontakt, während Herr Rotheisen ihn inzwischen sanfter anfasste und höflicher behandelte als in der ersten Nacht. Beide hatten wohl daran zu knabbern, dass sie die Wahrheit hinter den Wunderkräften des Abts kannten. Tagsüber wurde auf dem Hof vor Bens Fenster mit wachsender Ehrfurcht über den Abt gesprochen.
Als die Ritter gegangen waren, machte es sich Ben so bequem wie möglich auf der Pritsche, um noch ein wenig Schlaf zu finden. Doch kaum hatte er die Augen geschlossen, wurde vor der Zelle sein Name gemurmelt. Ben rappelte sich auf und erkannte Akse. Diesmal hatte er keinen Besen dabei.
»Was machst du denn hier?«, zischte Ben.
»Du hast versprochen, mir von Drachen zu erzählen.«
»Ja, aber … Wie bist du reingekommen?«
»Durch die Tür.« Akse grinste. »Der gute Bruder Kerkermeister schläft nachts wie alle anderen, und ich habe einen Schlüssel für den Gang. Ich musste zu oft fegen, da hat er mir einmal den Zweitschlüssel überlassen und vergessen, ihn zurückzufordern.«
»Du hast den Schlüssel?«
»Nicht zu den Zellen.« Bedauernd schüttelte Akse den Kopf. »Rauslassen kann ich dich leider nicht.«
»Würdest du es tun?«
Einen Moment lang sah ihn Akse an, als würde er ernsthaft überlegen. »Nur mit einem guten Plan. Wenn ich dabei erwischt werde, komme ich nicht mit Bodenfegen davon. Dann werde ich wohl gehenkt.«
»Wie ich«, brummte Ben.
»Nein, wirklich. Im Unterschied zu dir bewahrt mich nichts und niemand vor dem Galgen.«
»Das war ein einziges Mal. Aber wenn ich bei einem Fluchtversuch erwischt werde, wartet auf mich bestimmt auch der Strick.«
»Nein. Der Abt braucht dich, du bist sicher. Was du auch anstellst, er wird dir nichts tun. Zumindest nichts wirklich Schlimmes.«
»Klar. Deshalb habe ich auch die letzte Zelle mit Blick auf den Innenhof bekommen.« Ben schnaubte. Warum machte sich der Knappe über ihn lustig? »Das Kloster ist jahrhundertelang ohne meine Hilfe ausgekommen. Wenn ich sterbe, gibt es eben wieder mehr verletzte Drachen, für den Abt ändert das gar nichts.«
Lächelnd schüttelte Akse den Kopf. »Du magst viel über Drachen wissen, aber von Menschen hast du keine Ahnung. Bei dir geht es nicht nur um die Drachen, nicht mehr. Khelchos hat sich von dir abhängig gemacht, weil er sich selbst bei den morgendlichen Heilgebeten in den Mittelpunkt stellt. Hätte er unerklärliche Wunderheilungen zugelassen, hätte es Getuschel gegeben, aber die meisten hätten einfach Hellwah gedankt und
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