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Das Verlies der Stuerme

Das Verlies der Stuerme

Titel: Das Verlies der Stuerme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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Für ein paar Wochen war die abseits gelegene Stadt ganz in den Händen der Ketzer. Eine Stadt auf dem absteigenden Ast ist immer ein Ort voller Unzufriedener, der Hang zur Rebellion ist dort ausgeprägt. Dazu kommt eine Lage am Rand des Reichs, fern der großen Klöster und Machtzentren. Dort vergisst man leicht, wer das Sagen hat, und verbotene Gedanken können unbeachtet gären.«
    Ben nickte, versuchte jedoch unbeteiligt zu wirken. Wahrscheinlich hatte Finta ihn schon längst an seinem Dialekt im Norden verortet, doch er würde seine genaue Herkunft nicht einfach verraten. Auch wenn er Finta vertraute, so hatte er doch noch Anulas Warnungen im Kopf. Wer wusste schon, ob dieser sich nicht versehentlich bei seiner Frau oder Tochter verplapperte? Und die sagten es irgendwem, der sich dann an die Steckbriefe mit den Ketzern erinnerte. Nein, je weniger er preisgab, desto weniger hatten die Menschen zu reden, und umso sicherer waren sie. Demnächst sollte er dringend gegenüber Frau Dogha fallen lassen, dass sein Sprachlehrer aus dem nördlichen Graukuppe stammte. Also der Sprachlehrer von Cintho.
    Aber dass Trollfurt ein Ort für Rebellen sein sollte, da hätte Ben gern widersprochen. Niemand hatte sich dort je gegen irgendeine Ordnung gestellt, die Ketzer waren von außerhalb gekommen. Nun gut, Yanko und er stammten auch von dort, und sie hatten es immerhin geschafft, schon doppelt per Steckbrief gesucht zu werden.
    »Weißt du, wie es derzeit in Trollfurt aussieht?«, fragte Ben.
    »Friedlich, soweit ich gehört habe. Aber bei den Kämpfen sind einige gestorben.«

    »Das bringt der Krieg wohl mit sich«, sagte Ben und versuchte krampfhaft, unbeteiligt zu klingen. Zwar hatte er vom Bürgerkrieg gewusst, doch nicht von den Toten in Trollfurt. Irgendwie war er immer davon ausgegangen, dass die Kämpfe irgendwo anders stattgefunden hatten. Nie hatte er einen Gedanken daran verschwendet, es könnte jemand gestorben sein, den er kannte. Er nahm einen Schluck Wein und blinzelte die Träne weg, die sich in seinem Auge bilden wollte. Die wurmkriechigen Trollfurter hatten ihn damals hängen wollen, aber es war seine Heimat, und nicht jeder war immer schlecht zu ihm gewesen. Byasso nicht, und ein paar Knechte und Mägde hatten ihn gedeckt, wenn er bei ihren Herren Äpfel oder Eier stibitzt hatte. Und Yankos Eltern lebten noch dort – zumindest hoffentlich. Er würde es ihm sagen müssen, und das war schrecklich. Er hustete und räusperte sich. »Starker Wein.«
    »Ja.« Finta nickte und musterte ihn scharf. »Weißt du, eine Frage hätte ich noch, und da ist mir deine Einschätzung sehr wichtig. Glaubst du, dass es auch hier zum Bürgerkrieg kommen wird?«
    »Ich hoffe doch nicht.«
    »Gut.« Nachdenklich rieb sich Finta mit der Hand über das Kinn und behielt ihn weiter im Auge. »Nicht, dass ich euch falsch einschätze. Wer kann denn wissen, was solche nächtlichen Bekanntmachungen noch alles verkünden?«
    »Nein.« Entsetzt schüttelte Ben den Kopf. Erst jetzt hatte er richtig verstanden. Hatte Finta etwa im Ernst überlegt, ob sie zum Bürgerkrieg aufrufen wollten? Keiner von ihnen wollte Krieg. »An Krieg denkt keiner von uns. Nur an die Wahrheit.«
    »Nun denn, da bin ich dabei. Auf die Wahrheit«, sagte Finta
und hob erneut den Kelch. Sie stießen an und saßen eine Weile schweigend da. Ben ließ den Blick über die Gemälde an der Wand schweifen und betrachtete die in kostbares Leder gebundenen Bücher hinter den klaren Glastüren des massiven Schranks. So nahe an Venzara schien Glas überall Verwendung zu finden.
    Da drangen plötzlich Schreie von draußen herein. Ben verstand ein barsches »Halt!«, alles andere war nur fernes Gemurmel.
    »Das ist wahrscheinlich vorn an der Kreuzung«, erklärte Finta. »Heute ist ein Schiff meines lieben Nachbarn und Konkurrenten Jodhyn eingelaufen, und die übereifrigen Nachtwächter kontrollieren nun wohl jede zweite Lieferung in sein Haus.«
    »Aha«, sagte Ben.
    »Bei Haus fällt mir ein, dass ich dir meines noch gar nicht richtig gezeigt habe. Komm mit«, sagte Finta, leerte sein Glas und erhob sich.
    Ben tat es ihm gleich und folgte ihm hinaus in den Flur.
    Fintas Palast wirkte von innen sogar noch größer als von außen. Auf allen Böden lagen dicke, kunstvoll geknüpfte Teppiche. Viele zeigten abenteuerliche Szenen aus der Seefahrt, aber auch Drachen und bekannte Helden waren abgebildet, wie auch allerlei Raubtiere, von denen Ben die Hälfte nicht kannte. Zahlreiche

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