Das Verlies der Stuerme
in diese schlaftrunkenen Überlegungen hinein klopfte es an sein Fenster. Das Zimmer lag im ersten Stock. Er musste sich verhört habe. Oder war ein kleiner Vogel dagegengeflogen?
Wieder klopfte es. Da war tatsächlich etwas. Mit einem Mal wach und entschlossen zog Ben seinen Dolch und schlich im Dunkeln zum Fenster hinüber. »Ja?«
Draußen erklang ein gedämpftes, unverständliches Flüstern, das von einem weiteren Klopfen begleitet wurde. Ben zog den Vorhang ein Stück zur Seite und erkannte durch das Fenster einen Schemen, der balancierend auf dem schmalen Fenstersims hockte und sich mit den Händen in die Laibung krallte, Gesicht und Oberkörper fest gegen das Glas gepresst. Wer immer das war, er war ein herausragender Kletterer. Etwa ein Dieb?
Nein, Diebe klopften üblicherweise nicht. Er war kleiner als Ben und schien unbewaffnet, zumindest hielt er keine in der Hand. Vorsichtig öffnete Ben das Fenster einen Spaltbreit.
»Ja?«, fragte er, ohne das Gesicht an den Spalt zu halten. So leicht wollte er es dem Fremden nicht machen, falls er ihn doch überwältigen wollte. Fest umklammerte er seinen Dolch.
»Ich bin’s, Nesto«, keuchte der Schiffsjunge.
»Nesto?« Ben erkannte die Stimme und riss das Fenster vollständig auf. »Komm rein. Hättest du nicht die Tür nehmen können?«
»Ich wollte nicht gesehen werden. Die Diener würden nur tuscheln, wenn du mich empfängst. Ich bin doch nur der Schiffsjunge.«
»Und deswegen darf ich dich nicht empfangen?«
»Ja. Natürlich.« Nesto sah ihn irritiert an.
Ben beschloss, dass er das nicht verstehen musste. War ein Händlersohn nicht höhergestellt als die Diener? Weshalb musste er als solcher also auf ihr Getuschel achten? »Was gibt’s?«
»Ich muss dir was erzählen.« Nesto hopste auf Bens Kleidertruhe und setzte sich in den Schneidersitz. Von der anfänglichen Schüchternheit auf der Insel war nichts geblieben. »Als ich heute früh in den Hafen gegangen bin, um ein paar Botengänge zu erledigen, haben alle über die neuen Steckbriefe in der Stadt geredet, und auch über die Bekanntmachung zu freundlichen geflügelten Drachen. Viele haben darüber gelacht oder geschimpft, es alles Unsinn genannt, aber dem einen oder anderen war anzusehen, dass er nichts gegen einen solchen Scherz auf Kosten des Ordens hatte. Und über den Kai liefen zwei kleine Jungen, von denen der eine schwärmte, wie wundervoll es sein müsse, einen geflügelten Drachen zu reiten, wenn die gar nicht verflucht wären.
Sind sie aber, hat der andere ganz altklug gesagt.
Aber wenn, hat der Erste beharrt. Stell dir das doch mal vor.
Ja wenn, das wäre toll, stimmte der Zweite zu. Nur nicht für meinen großen Bruder, der hat schon auf einer Leiter Höhenangst. Auf der untersten Sprosse.
Die zwei lachten laut, und ich habe ihnen zugenickt, ich weiß ja, wie freundlich Drachen sind und wie schön ein Flug mit ihnen sein kann. Und plötzlich hatte ich die Vorstellung, alles würde sich ändern, geflügelte Drachen unsere Freunde sein und nicht nur verstümmelt die Reittiere des Ordens und reicher Händler. Es war eine schöne Vorstellung, so als würde alles gut werden, verstehst du?«
Ben nickte stumm und wartete. Nesto wirkte nicht so, als sei er fertig.
»Eine Stunde später lief mir dann jedoch ein alter Freund über den Weg. Chavii. Der ist zwei Jahre älter und hat damals die Aufnahme in den Orden geschafft im Unterschied zu mir, und seitdem sieht er mich nur noch von oben herab an. Von verdammt weit oben, falls er mich überhaupt beachtet.
Mit fünf Kameraden und Schaum vorm Mund ist er durch die Straßen marschiert, die nächtlichen Aushänge hatten sie alle mächtig zornig gemacht, und da entdeckten sie ein Mädchen, vielleicht neun oder zehn Jahre alt. Irgendwo hatte sie einen dieser falschen Steckbriefe gefunden und auf die Rückseite unbeholfen eine Katze gezeichnet und darunter geschrieben: Katze gesucht, 1 Gulden Belohnung, und dazu eine Beschreibung ihres Fells und den Namen. Schniefend hängte sie das Pergament eben an einen Baum, da packte sie der erste Knappe und brüllte: Wir haben sie!
Das Mädchen plärrte, aber Chavii hat ihr das Pergament
aus der Hand gerissen, und ein anderer Knappe half, das Mädchen zu halten und mitzuzerren.
Gotteslästerin!, keiften die Knappen. Ihre Stimmen haben gezittert und sich fast überschlagen.
Ein paar Passanten wirkten verwirrt oder blieben stehen, aber als die Knappen gifteten: Weitergehen, hier gibt’s nichts zu
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