Das Verlies
sich nur erschossen hätten. Das ist mir ein bisschen zu viel Aufwand. Oder kapier ich da etwas nicht?«
»Julia, du nervst. Weißt du was, zerbrich du dir deinen Kopf darüber, ich will nach Hause und wenigstens noch zwei oderdrei Stunden mit Nadine zusammen sein. Und morgen im Präsidium kannst du deine gesammelten Erkenntnisse vorlegen. Okay?«
»Jetzt sei doch nicht eingeschnappt. Für mich ist das alles so unlogisch, vor allem habe ich das Gefühl, total verarscht zu werden.«
»Ich bin nicht eingeschnappt, aber du verrennst dich in etwas, das es nicht gibt. Wir haben die Fakten auf dem Tisch liegen, und das reicht mir. Ob Lura seine Familiengeschichte schönt, geht mir am Arsch vorbei. Ob er seine Frau verprügelt, geht mir genauso am Arsch vorbei, und die Geschichte mit der Kreutzer geht mir auch am Arsch vorbei. Finde dich einfach damit ab, dass der Fall abgeschlossen ist. Wir bearbeiten eben nicht immer die riesigen spektakulären Sachen. Manchmal sind’s einfach nur Familiendramen. Und jetzt ciao und schlaf gut.«
»Du auch, und grüß Nadine von mir. Vielleicht können wir ja mal bei Gelegenheit was unternehmen.«
»Gerne. Und wenn dir zu Hause die Decke auf den Kopf fällt, du kennst den Weg zu uns. Bis morgen.«
»Hm, bis morgen«, sagte sie, zündete sich eine Zigarette an und stieg in ihren Corsa. Auf der Heimfahrt drehte sie die Musik laut, doch die Gedanken blieben. Ungereimtheiten. Und die Tatsache, dass sie Lura vom ersten Moment an nicht leiden konnte. Seine Geschichte klang ihr zu einstudiert, als hätte er die Sätze seit Wochen geprobt. Du bist bekloppt, so zu denken, sagte sie leise zu sich selbst, denn schließlich wurde er entführt und nicht seine Frau und Becker. Julia, hör auf damit, es bringt nichts. Lura ist ein Kotzbrocken, aber du musst ja nicht unbedingt mit ihm ins Bett gehen. Du machst dir gleich ein schönes Süppchen und zwei Salamibrote mit sauren Gurken, legst die Beine hoch und schaltest die Glotze an. Und du könntest auch mal wieder bei Papa anrufen und ihm was vorjammern. Mal sehen.
Sie holte die Post aus dem Kasten, zwei Rechnungen und ein Brief ihrer Exkollegin Christine Güttler, die mit ihrem Mannund dem neun Monate alten Sohn seit drei Monaten in Kiel lebte. Erst als sie die Treppe hochstieg, spürte sie die Müdigkeit und Erschöpfung, die ihren ganzen Körper erfasst hatte. Ihre Beine schmerzten bei jedem Schritt, und der Rücken tat ihr weh, als hätte sie den ganzen Tag in unnatürlicher Haltung zugebracht. Du wirst alt, Julia, dachte sie und schloss die Wohnungstür auf. Du wirst wirklich alt. Egal.
Donnerstag, 20.20 Uhr
Julia Durant warf ihre Tasche auf die Couch, öffnete das Fenster, um frische Luft hereinzulassen, und schaltete den Fernseher ein. Sie entkleidete sich bis auf die Unterwäsche, ging ins Bad, ließ Wasser in die Wanne laufen und bürstete sich das Haar. Sie warf einen Blick in den Spiegel, der ihre Laune auch nicht anhob. Das Geschirr in der Küche war seit dem Wochenende nicht abgewaschen worden, der Fußboden musste dringend gesaugt werden, der Wäschekorb quoll über. Sie verzog nur den Mund, stopfte die Maschine wahllos mit Weiß- und Buntwäsche voll, tat etwas Waschpulver und Weichspüler dazu und drückte auf Start. Sie spülte einen kleinen Topf, trocknete ihn ab und schüttete den Inhalt einer Dose Tomatensuppe hinein, gab noch einmal die gleiche Menge Wasser dazu und stellte den Topf auf den Herd. Dazu machte sie sich zwei Brote mit Salami, tat drei saure Gurken auf den Teller, setzte sich auf die Couch und legte die Beine hoch, die jetzt erst richtig schmerzten. Sie wartete, bis die Suppe erhitzt war, stand wieder auf, rührte um und schüttete den halben Inhalt in eine Suppentasse. Ein paar Tropfen Tabasco durften auch nicht fehlen. Sie stellte das Wasser aus und ärgerte sich, denn sie hatte vergessen, Badeschaum dazuzugeben, nahm eine Flasche Badeöl und verteilte vier Verschlusskappen voll im Wasser.
Während sie langsam aß, dachte sie an den zurückliegenden Tag, wobei sie weniger das Bild des ausgebrannten Autos mit den beiden Toten vor Augen hatte als Corinna Becker und vor allem Rolf Lura und das Gespräch mit ihm. Sie konnte nicht erklären, was sie an seiner Version des Geschehenen störte oder verunsicherte, es war nur dieses untrügliche Gefühl, das ihr sagte, dass Lura ihr etwas Wesentliches verschwieg, auch wenn er geplappert hatte wie ein Waschweib. Es gab Ungereimtheiten in seinen Ausführungen, aber den
Weitere Kostenlose Bücher