Das Verlies
steckte sich gleich eine weitere Zigarette an, »hören wir doch bitte mit diesem Theater auf. Sie waren weder vorgestern zu betrunken noch gestern emotional zu aufgewühlt, um Dinge zu sagen, die so konkret waren, dass wir einfach noch einmal herkommen mussten.«
»Sparen Sie sich die Mühe …«
»Nein, Sie hören mir jetzt bitte zu. Es sind unter anderem Ihre Aussagen sowohl über Ihre Schwägerin als auch über Ihren Bruder, die uns veranlasst haben, den Fall weiter zu bearbeiten. Ich kann Sie nicht zwingen, mit uns zu kooperieren, aber ich kann Sie wenigstens bitten. Dieser Fall wirft eine Menge Fragen auf, und wenn Sie uns nicht helfen, werden wir womöglich niemals Antworten finden. Was ist jetzt?«
Wolfram Lura löste sich vom Fenster, setzte sich an den Tisch, deutete auf die Schachtel Zigaretten und sagte: »Kann ich eine von Ihnen haben? Meine sind im Schlafzimmer.«
»Bitte, bedienen Sie sich.«
Er nahm mit zittrigen Fingern eine heraus, Hellmer gab ihm Feuer. »Danke.« Er inhalierte und stieß den Rauch durch die Nase aus. »Ich werde Ihnen helfen, soweit ich kann. Fragen Sie.«
»Wie lange haben Sie mit Ihrem Bruder bei Ihren Eltern gelebt?«
»Ich bin mit neunzehn ausgezogen, Rolf hat den Absprung erst mit achtundzwanzig geschafft.«
»Wie war Ihr Verhältnis, als Sie Kinder und Jugendliche waren?«
»Anfangs normal, später waren es nur noch Machtkämpfe, die ich in der Regel verloren habe. Aber ansonsten hatte ich keine schlechte Kindheit.«
»Sie haben beide Abitur gemacht und studiert?«
»Sicher. Ich habe erst Germanistik studiert, dann habe ich die Journalistenschule in Hamburg besucht, was meiner Mutter überhaupt nicht gefallen hat. Rolf hat BWL und Psychologie studiert. Weiß der Geier, wie das zusammenpasst. Aber er hat’s geschafft, er hat beide Examen mit Auszeichnung bestanden. Eins muss man ihm wirklich lassen, wenn er sich was in den Kopf gesetzt hat, dann schafft er es auch.«
»Heißt das, Ihr Bruder könnte genauso gut eine psychologische Praxis eröffnen?«, fragte Durant überrascht.
»Ich weiß ja nicht, was bei ihm noch hängen geblieben ist, aber ich denke schon.«
»Und warum hat er sich für das Autogeschäft entschieden?«
»Unsere Mutter hat ihn dazu gedrängt. Sie wollte, dass er das Autohaus übernimmt, obwohl unser Vater zu dem Zeitpunkt erst fünfundfünfzig war.«
»Ihr Bruder hat relativ spät geheiratet. War er vor dieser Ehe schon einmal verheiratet?«
»Nein, er hatte zwar häufig wechselnde Beziehungen, aber eine feste Freundin gab es nicht.«
»Ich habe jetzt eine sehr ernste Frage an Sie. Könnten Sie sich vorstellen, dass Ihr Bruder seine eigene Entführung inszeniert hat?«
Wolfram Lura zuckte mit den Schultern, schüttelte danach den Kopf und meinte: »Nein, das glaube ich nicht. Er kann zwar manchmal ziemlich grob werden, aber er ist kein Mörder, denn das wollen Sie damit ja ausdrücken.«
»Ich möchte Sie noch einmal fragen, was Sie gestern damit gemeint haben, als Sie den Begriff abstrus verwendeten?«
»Finden Sie nicht die ganze Situation abstrus?«, fragte Lura zurück. »Meine Schwägerin hat einen Geliebten, was ich ihrnicht verdenken kann, und irgendwann kommt ihnen der Gedanke, meinen Bruder aus dem Weg zu räumen. Gabi hat es einfach nicht mehr mit ihm ausgehalten, und da ist sie durchgedreht.«
»Und Dr. Becker hat einfach mitgespielt, weil er ja ach so verliebt in Ihre Schwägerin war. Aber dieser Mann war vierundvierzig und kein pubertierender Jüngling mehr. Ich könnte Ihnen jetzt eine ganze Menge über Dr. Becker und seine Ehe erzählen, aber wenn Sie uns nicht helfen wollen, behalten wir unsere Informationen auch für uns.«
»Daran kann ich Sie nicht hindern. Ich kann Ihnen nur sagen, ich habe mich in meinem Bruder getäuscht – und leider auch in meiner Schwägerin.«
»Herr Lura, so kommen wir nicht weiter. Sie wissen wesentlich mehr, als Sie uns hier weismachen. Aber gut, wenn Sie nicht wollen …«
»Halten Sie denn meinen Bruder für einen Mörder?«, fragte er.
»Sagen wir es so, wir haben Zweifel am Tathergang.«
»Und worauf stützen sich diese Zweifel?«
»Auf eine ganze Menge Indizien, die nur noch bewiesen werden müssen. Sie könnten es uns sehr leicht machen …«
»Ich kann Ihnen aber nicht helfen«, entgegnete Lura noch abweisender als vorhin schon.
»Dann lassen Sie es einfach«, sagte Durant nur und erhob sich. »Sie haben meine Karte, ich stehe Ihnen jederzeit gerne zur Verfügung. Ich
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