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Das Verlies

Das Verlies

Titel: Das Verlies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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schrie und schrie und schrie, doch jeder Schrei verhallte im Nichts. Schließlich gab sie es auf, nachdem Lura nur grinsend dastand, und sie begriff, dass sie im Moment keine Chance hatte zu entkommen.
    »Was muss ich tun, damit du mich losmachst?«, fragte sie mit heiserer Stimme.
    »Nichts, rein gar nichts. Hab ich irgendwas von dir verlangt? Übers Ficken reden wir ein andermal.«
    »Bleib noch, bitte. Ich habe Angst allein. Außerdem ist mir schlecht.«
    »Jeder Mensch hat vor irgendetwas Angst. Das ist ganz natürlich. Je länger du allein bist, desto mehr gewöhnst du dich daran. Die hungernden Kinder auf der ganzen Welt gewöhnen sich an den Hunger, der Alkoholiker an den Alkohol, der Junkie an die Drogen, der Einsame an die Einsamkeit. Du bist nicht allein mit deiner Angst, es gibt Millionen von Menschen, die vor allem Möglichen Angst haben. Nur ich habe komischerweise vor nichts Angst.«
    »Aber ich habe Angst! Ich habe Angst, Angst, Angst!!! Und mir ist wirklich schlecht.«
    »Die Toilette steht neben dir.« Er setzte die dunkle Perücke und die getönte Brille auf, nahm das Handy aus der Handtasche von Mandy Preusse, entfernte die Chipkarte und warf sie in das halb volle Glas Whiskey. Anschließend stieg er nach oben, schloss die Klappe und schob den Teppich darüber. Emotionslos fuhr er denselben Weg, den er gekommen war, nach Schwanheim. Um fünf nach halb zwei am Samstagmorgen stellte er den Honda in der Nähe der Telefonzelle ab, steckte die Brille und die Perücke in die Innentaschen seines Mantels und lief mit schnellen Schritten nach Hause. In keinem der anderen Häuser brannte mehr Licht, oder es war nicht zu sehen, weil die Rollläden heruntergelassen waren. Er begab sich ins Schlafzimmer,zog sich aus, legte sich nackt ins Bett und rollte sich in die Decke. Bevor er einschlief, musste er noch einmal ins Bad, um seine Blase zu entleeren. Er wusch sich die Hände, warf einen Blick in den Spiegel und sagte leise zu sich selbst: »Du bist perfekt. Du bist einfach nur perfekt. Und Mandy werden sie frühestens am Mittwoch vermissen. Tja, Mädchen, du hättest mal lieber im Osten bleiben sollen.«

Freitag, 22.10 Uhr
    Julia Durant hatte gebadet und sich vom Pizzaservice eine Pizza mit je einer doppelten Portion Champignons und Salami sowie einen Salat kommen lassen und saß vor dem Fernseher, wo eine Talkshow lief. Sie hatte beim Baden eine Dose Bier getrunken und zwei Zigaretten geraucht, alte Verhaltensmuster, die sie längst abgelegt haben wollte. Doch inzwischen war ihr klar, dass sie, solange sie diesen Job machte und Fälle wie dieser an ihren Nerven zehrten, diese Gewohnheiten nicht würde ablegen können. Sie rauchte zwar wesentlich weniger als noch vor einem Jahr, aber immer noch zu viel. Selbst die Gedanken an ihre an Lungenkrebs verstorbene Mutter ließen sie in Zeiten wie diesen nicht davon abkommen. Sie hatte die Füße auf den Tisch gelegt, die Pappschachtel mit der Pizza auf ihren Oberschenkeln, die kleine Plastikschüssel mit dem Salat stand neben ihr auf der Couch. Ein junger Schauspieler, der gerade seine ersten großen Erfolge feierte, antwortete artig auf die Fragen der Talkmasterin und warf hier und da einen Witz ein, über den alle lachten, bloß Julia Durant lachte nicht, weil sie nur mit halbem Ohr zuhörte. Eigentlich hatte sie diesen Tag hinter sich lassen wollen, nicht mehr über das nachdenken, was sie alles aufgenommen und zu verarbeiten hatte. Nur das Wochenende genießen, die Wohnung aufräumen, Wäsche waschen und viel schlafen. Sie war müde, ausgelaugt,erschöpft, und sie war allein. Eine melancholische Stimmung überfiel sie wie so oft in letzter Zeit. Sie würde in knapp drei Wochen neununddreißig werden, und sie hatte keinen, an den sie sich anlehnen und bei dem sie sich fallen lassen konnte. Neununddreißig, seit einigen Jahren geschieden, und jede Beziehung, die für sie seitdem vielversprechend ausgesehen hatte, war gescheitert. Um die Einsamkeit, das Alleinsein zu kompensieren, stürzte sie sich in die Arbeit, rieb sich auf und merkte, wie sie immer härter gegen sich und andere wurde. Sie ließ das erste Gespräch mit Gabriele Lura Revue passieren und dachte daran, dass sie unfair ihr gegenüber gewesen war und offensichtlich nicht die Verzweiflung dieser kleinen, zerbrechlichen Frau bemerkt hatte. Eine Frau, die über Jahre hinweg auf das Schlimmste gedemütigt worden war und die keinen Ausweg aus ihrer verfahrenen Situation kannte und schließlich Hilfe bei

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