Das Verlies
Er reichte Wolfram einen Scheck.
Dieser warf einen Blick darauf und meinte: »Sorry, aber das kann ich nicht annehmen. Hier, vergiss es.«
»Dann musst du ihn schon zerreißen. Vielleicht hilft dir das ja auch bei deinen Zukunftsplänen. Nimm’s und lass uns nicht mehr darüber sprechen, okay?«
»Wenn du meinst. Danke schön und erhol dich gut. Bist du bereit, Markus?«
»Ja.«
»Tschüs, und danke, dass ihr da wart. Und ihr seid jederzeit herzlich willkommen, aber bitte ruft vorher an, damit ich auch zu Hause bin. Und du, Markus, sei lieb und denk dran, was ichdir vorhin gesagt habe. Es wird zwar nicht mehr so sein wie früher, aber es wird trotzdem alles gut.«
Rolf Lura begleitete sie zur Tür, sah ihnen nach, bis sie durch das Tor gegangen waren, begab sich zurück ins Wohnzimmer, trank zwei Gläser Whiskey und steckte sich eine Zigarette an. Wolfram, Wolfram, Wolfram, du bist und bleibst ein Versager. Ein kleiner dummer Versager.
Samstag, 17.15 Uhr
Markus, du kannst ruhig fernsehen, Andrea und ich haben kurz was zu besprechen.«
Wolfram und Andrea gingen in die Küche und machten die Tür hinter sich zu.
»Dein Bruder …«, wollte Andrea gerade ansetzen, als Wolfram sie unterbrach.
»Mein Bruder ist ein eiskalter Killer. Ich hab dir die Story mit dem Finger noch nicht erzählt, aber das war damals ganz anders, als er das geschildert hat. Er hat ihn ihr gebrochen, damit sie nicht mehr Klavier spielen kann.«
»Du spinnst doch, oder?«
»Schön wär’s. Aber du hast heute den perfekten Schauspieler Rolf Lura kennen gelernt, höflich, aufmerksam, jovial und äußerst großzügig. Zwanzigtausend Euro, einfach mal so. Aber als Constanze gestorben ist, kam er nicht mal zur Beerdigung. Er hat es nicht einmal für nötig empfunden, hier anzurufen oder wenigstens einen Kranz oder ein Gesteck zu schicken. Und jetzt auf einmal, wo Gabi tot ist, will dieser Drecksack sich um hundertachtzig Grad gedreht haben? Glaub’s bitte nicht. Rolf ist Rolf und wird es auch immer bleiben. Hast du ein paar Mal dieses Aufblitzen in seinen Augen bemerkt?«
»Nein.«
»Na ja, du kennst ihn eben nicht. Vor allem, als ich ihn auf denFinger angesprochen habe. Es war nur für Sekundenbruchteile, aber ich kenne diesen Blick von ihm. Und diesen verdammten Scheck werde ich nicht einlösen. Lieber verhungere ich, als dass ich Geld von meinem Bruder nehme.«
»Darf ich jetzt auch mal was sagen?« Andrea sah ihn von unten herauf an, lächelte liebevoll und legte ihre Arme um seinen Hals.
»Was denn?«
»Du ziehst die ganze Zeit über deinen Bruder her. Aber was willst du mit deinen Hasstiraden ausdrücken?«
»Kannst du dir das nicht denken?«
»Doch, aber ich will’s aus deinem Mund hören.«
»Okay. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass er ein zweifacher Mörder ist. Und ich werde es beweisen.«
»Genau das wirst du nicht tun«, sagte sie ruhig, doch energisch. »Das ist Angelegenheit der Polizei. Solltest du jedoch einen Alleingang unternehmen, packe ich meine Sachen, und du siehst mich nie wieder, denn ich habe keine Lust, hier noch ein Drama zu erleben. Du hast mir gestern Abend eine ganze Menge aus deiner Kindheit und Jugend erzählt, und auch von Rolf. Und glaub bloß nicht, dass ich so blöd bin, nicht zu merken, wenn du mir was vormachst. Wenn dein Bruder so gefährlich ist, dann darfst du es nicht allein machen. Hörst du, du darfst es nicht! Hilf der Polizei, diese Frau Durant ist doch ganz patent …«
»Ich trau der nicht …«
»Und warum nicht? Nur weil sie eine Frau ist?«, fuhr Andrea ihn wütend an. »Überleg dir gut, was du machst. Sprich noch mal mit deinem Vater und dann ruf Frau Durant an. Das ist am sichersten. Du wirst niemals auf eigene Faust beweisen können, dass dein Bruder ein Mörder ist. Und wenn, dann begibst du dich in allerhöchste Gefahr.« Sie machte eine Pause und fuhr in versöhnlicherem Ton fort: »Und den Scheck wirst du schön brav einlösen, schließlich ist das Geld für Kost und Logis von Markus. Wir können das Geld gut gebrauchen, du könntest ein paarAnzeigen schalten, dich vorstellen und vor allem ein paar Altlasten loswerden.«
»Ich kann das nicht.«
»Doch, du kannst. Ich bin ja auch noch da. Ich wollte heute nur einmal den Mann kennen lernen, über den so viel Negatives berichtet wird. Und jetzt glaube ich dir.«
»Wieso? Er war doch ganz nett«, sagte Wolfram Lura irritiert.
»Weibliche Intuition. Mit dem würde ich keine zwei Minuten allein in einem Raum
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