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Das Verlies

Das Verlies

Titel: Das Verlies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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etwas ganz anderes berichtet. Sie hat gesagt, Sie hätten sie sogar häufig verprügelt.«
    »Das sind alles Lügen«, erwiderte er gelassen. »Wem wollen Sie glauben, einer Frau, die ihren eigenen Mann umbringen wollte, oder mir, der dem Tod nur knapp entronnen ist? Sie glauben mir nur nicht, weil ich ein Mann bin, stimmt’s?«
    »Im Augenblick weiß ich nicht, was ich glauben soll. Wie war das eigentlich auf der Fahrt von Ihrem Gefängnis in den Wald? Sie behaupten, sich nicht erinnern zu können, welche Strecke Sie gefahren sind. Sie haben nicht ein einziges Mal geblinzelt, um zu sehen, wo Sie sich befinden?«
    »Frau Durant, worauf wollen Sie eigentlich hinaus?«
    »Worauf ich hinauswill? Sagen wir es so, ich bin eine Wahrheitsfanatikerin, und ich bin nicht blauäugig, auch wenn ich eine Frau bin. Ihre Frau hat zweimal auf Sie geschossen, aber weder sie noch Dr. Becker hat sich vergewissert, ob Sie auch wirklich tot sind. Kommt Ihnen das nicht auch ein bisschen merkwürdig vor?«, fragte sie mit einem ironischen Unterton, in der Hoffnung, Lura dadurch aus der Reserve locken zu können.
    Lura beugte sich nach vorn, die Hände gefaltet. Er wirkte ernst. Durant registrierte es und dachte nur, du bist ein fantastischer Schauspieler. »Soll ich Ihnen sagen, was ich getan habe? Ich habe in den zwei Tagen in meinem Gefängnis unablässig zu Gott gebetet, er möge mich am Leben lassen. Ich habe in meiner Verzweiflung immer und immer wieder die Psalmen 23 und 91 aufgesagt, weil sie mir schon als Kind in schweren Zeiten Trost gespendet haben. Und Gott hat meine Gebete erhört, und dafür danke ich ihm aus tiefstem Herzen.«
    »Was steht in den Psalmen?«
    »Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser … Oder: Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt … Möchten Sie, dass ich Ihnen alles aufsage?«, fragte er lächelnd.
    »Nein, nicht nötig, ich kenne diese Psalmen, mein Vater ist Pastor und hat sie oft genug zitiert.«
    »Ach, Sie wollten mich also auf die Probe stellen. Na ja, ich kann Sie ja verstehen …«
    »Das glaube ich kaum. Es gibt nämlich einige Ungereimtheiten, die
ich
nicht verstehe, zumindest noch nicht. Wieso zum Beispiel hat man Sie auf dem Rücksitz transportiert, wo doch der Kofferraum dafür viel geeigneter gewesen wäre, vor allem, wenn Ihre Frau und Dr. Becker überzeugt waren, dass Sie tot sind? Eine Leiche auf den Rücksitz zu setzen und anzuschnallen, entschuldigen Sie, aber das klingt geradezu absurd. Ich stelle mir nur vor, es hätte Sie jemand gesehen. Beckers Wagen war nämlich zu dem Zeitpunkt schon zur Fahndung ausgeschrieben. Warum, glauben Sie, sind sie dieses Risiko eingegangen?«
    »Woher soll ich das wissen? Ich bin kein Hellseher oder jemand, der die Gedanken anderer lesen kann.«
    »Das habe ich auch nicht behauptet.« Sie machte eine Pause und nippte an dem Whiskey, der grässlich schmeckte. »Mussten Sie eigentlich während der Fahrt in den Wald nicht husten?«
    »Wieso hätte ich husten sollen?«, fragte Lura zurück und schien im selben Moment zu merken, dass er falsch auf die Frage geantwortet hatte, doch bevor er sich verbessern konnte, fuhr Durant fort: »Sie haben am Donnerstag in der Klinik ständig gehustet. Wie haben Sie es geschafft, diesen Schmerz und diesen unerträglichen Hustenreiz so zu unterdrücken, dass weder Ihre Frau noch Becker etwas davon mitbekommen haben? Ist das nicht verdammt schwer, wenn die Kugel die Lunge angekratzt hat und der Hustenreiz so übermächtig wird und man genau weiß, einmal husten, und alles ist vorbei?«
    »Ich verstehe Ihre Frage nicht«, gab sich Lura ahnungslos und sah Durant mit Unschuldsmiene an.
    »Ich denke, ich habe mich deutlich genug ausgedrückt. Wie haben Sie das gemacht? Vielleicht kann ich ja noch etwas von Ihnen lernen.«
    »Im Angesicht des Todes schafft man alles, Frau Durant. Da können die Schmerzen noch so groß sein, man ignoriert sie einfach, weil man leben will. Es gibt Menschen, die haben sich einen Arm oder ein Bein abgehackt, um am Leben zu bleiben. Leben, das größte Geschenk in diesem Universum! Jeder will leben, die meisten am liebsten ewig, aber mir scheint, Sie haben dem Tod noch nie ins Auge geblickt, sonst würden Sie es verstehen.«
    »Sie waren aber nur leicht verletzt, weshalb Sie die Klinik schon gestern wieder verlassen konnten«, entgegnete Durant lakonisch. »Doch das nur

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